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Afrika: Ein Kontinent in Flammen

Afrikas Wiedergeburt in den neunziger Jahren war eine Fata Morgana. Die Hoffnung auf Demokratie und Prosperität: vorbei. Die Erneuerer und ihre Visionen: überschätzt. Im Zentrum des Kontinents aber tobt ein gewaltiger Krieg. Hochmodern und archaisch zugleich, geführt mit Kampfhubschraubern und Macheten


Johannesburg
Livebilder von CNN flimmern in die Bar, das Feuerwerk der Nato, die Flüchtlingszüge aus dem Kosovo. "So was würden die in Sierra Leone nie machen. Um uns schert sich niemand", sagt der alte Mann. Warum das so ist? "Ganz einfach. Wir sind schwarz, die sind weiß. Verstehen Sie?" Genau ein Jahr ist seit dieser Begegnung in der Hauptstadt Freetown vergangen, und der böse Verdacht des Mannes scheint sich zu erhärten. Da erreichen uns wieder Meldungen von Mord und Terror aus dem westafrikanischen Kleinstaat. Da kippt ein wackliger Frieden, den die Regierung und die Aufständischen der Revolutionary United Front (RUF) nach neun Jahren Bürgerkrieg erst vorigen Sommer besiegelt hatten. Da nehmen die Rebellen 500 Blauhelme als Geiseln und verhöhnen die Vereinten Nationen. Und was geschieht?

Großbritannien, die ehemalige Kolonial-macht, sendet eine Elitetruppe, um das Häuflein der Weißen - Geschäftsleute, Nothelfer, Diplomaten - in Sicherheit zu bringen. In Washington und Brüssel zuckt man nur mit den Schultern. Dies ist Afrika, und da gelten für Interventionen offenbar andere Maßstäbe.

Niemand kann sagen, er habe nichts gewusst. Die EU-Kommissarin Emma Bonino war in Freetown, ebenso Madeleine Albright, die amerikanische Außenministerin. Sie gingen durch die Trümmerstadt. Sie sahen die traumatisierten Flüchtlinge und das unendliche Leid der Opfer, denen RUF-Schlächter Hände und Füße abgehackt hatten. Albright segnete sogar den "Pakt mit den Teufel" ab, jenen schändlichen Friedensvertrag, der den Rebellenchef Fodah Sankoh, einen gemeingefährlichen Psychopathen, an der Macht beteiligt (Man stelle sich vor, dem Kriegsverbrecher Karadzic wäre im bosnischen Kabinett ein Ministerposten angeboten worden!). Dann flog der hohe Besuch wieder heim, um Sierra Leone sich selber und den Vereinten Nationen zu überlassen.

Der Frieden hielt nicht lange, und wer geglaubt hatte, die Mörder der RUF ließen sich von den furchtsamen Pfadfindern der Uno so einfach entwaffnen, sah sich alsbald getäuscht. Sie fingen wieder an, die Bevölkerung zu terrorisieren, sie verstümmelten wieder. Und die Menschen fragten sich, welche Grausamkeiten eigentlich noch geschehen müssen, ehe die Weltgemeinde so entschlossen reagiert wie auf dem Balkan. Oder gibt es, wie der alte Mann an der Bar argwöhnte, zweierlei Menschenrecht?

George W. Bush, der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, hat diese Frage eindeutig beantwortet: "In Nationen außerhalb unserer strategischen Interessen sollten wir unsere Truppen nicht mehr schicken, um ethnische Säuberungen oder einen Genozid zu stoppen." Afrika liegt seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr in der amerikanischen Interessensphäre.

Der Wind des Wandels blieb ein laues Lüftchen Der Vorwurf zynischer Gleichgültigkeit, den sich die Vereinigten Staaten neuerdings wieder anhören müssen, traf noch nie auf die Vereinten Nationen zu. Afrika wurde nicht vernachlässigt, im Gegenteil. Es ist seit der massiven Kongo-Intervention in den sechziger Jahren die Hauptarena für militärische UN-Einsätze. Von den 32 Operationen des vergangenen Jahrzehnts fanden allein 13 in Afrika statt. Unamsil, die jüngste Mission in Sierra Leone, ist mit geplanten 11000 Blauhelmen der zurzeit größte UN-Einsatz in der Welt.

Das Problem ist nur: Der Westen, insbesondere die USA, beteiligt sich nicht mehr direkt an den bewaffneten Missionen in Afrika, und das hat mit dem Debakel von Somalia zu tun. Dort wollte man 1993 die neue, humanitäre Weltordnung installieren und ist jämmerlich gescheitert. Der Mob lynchte damals US-Soldaten und zog sie vor den Augen der Welt durch die staubigen Straßen von Mogadischu - eine Demütigung für die letzte Supermacht. 1994, beim Völkermord in Ruanda, sahen die Amerikaner und die Mehrzahl der Europäer einfach weg, und bei dieser Haltung sind sie bis heute geblieben.

Ist es der Weltgemeinde zu verdenken, wenn sie Afrika allmählich als hoffnungslosen Fall abschreibt? Politisch in Aufruhr, geostrategisch bedeutungslos, weltwirtschaftlich marginal, das Schlusslicht der Globalisierung, von Kriegen, Gewaltexzessen, Hungersnöten und Naturkatastrophen geplagt, und zu allem Übel auch noch von einer Aids-Epidemie heimgesucht, deren Ausmaß unsere Vorstellungskraft sprengt (in einigen Ländern ist jeder vierte Erwerbstätige infiziert!). Kurzum: Die Befindlichkeit des Schwarzen Erdteils an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist so niederschmetternd wie nie zuvor.

Vielleicht waren wir krisenmüden Korrespondenten zu hoffnungsfroh, damals, nach dem Fall der Mauer, als auch durch Afrika der "Wind des Wandels" wehte. Aber gab es im vergangenen Jahrzehnt nicht jede Menge Anlass zum Optimismus? Der Aufbruch Afrikas in die Demokratie, dutzendweise freie Wahlen und purzelnde Diktaturen, sogar die eine oder andere wirtschaftliche Erfolgsgeschichte (Ghana, Uganda, Mosambik). Dann, 1994, das Wunder am Kap: der friedliche Machtwechsel nach 40 Jahren Apartheid. Drei Jahre später der Sturz des Despoten Mobutu in Zaire, das erste Gemeinschaftswerk einer neuen Generation von Führern, die Afrika modernisieren wollten. Thabo Mbeki, der Präsident Südafrikas, verkündete sogar eine African Renaissance, eine Wiedergeburt des Erdteils.

Allein, wir haben die Erneuerer und ihre Visionen gewaltig überschätzt. Laurent Kabila, der neue Hoffnungsträger im Kongo, entpuppte sich als Wiedergänger des Kleptokraten Mobutu; ein Teil seiner Verbündeten wandte sich gegen ihn. Im Sommer 1998 brach im Ostkongo ein Folgekonflikt aus, den Madeleine Albright den "ersten afrikanischen Weltkrieg" nannte. Unterdessen steht das gesamte Zentrum des Kontinents in Flammen, von der Küste Angolas im Westen bis hinauf in das Hochland von Abessinien im Nordosten, wo sich Eritrea und Äthiopien Kämpfe liefern, die Militärhistoriker an die Vernichtungsschlachten des Ersten Weltkrieges erinnern; allein in der letzten Woche sollen Tausende von Soldaten gefallen sein.

Der Wind des Wandels war also nur ein leises Lüftlein. Jetzt fegen wieder schwere Stürme über Afrika und entfachen die selbstzerstörerischen Energien des Erdteils. In der Rückschau markieren die turbulenten neunziger Jahre nicht den Anfang einer neuen Epoche, sondern das Ende einer alten: Im Süden der Sahara hat sich das Machtgefüge des Kalten Krieges zeitversetzt aufgelöst; viele afrikanische Staaten, die als ideologische Zöglinge von einem der beiden geopolitischen Lager alimentiert worden waren, erwiesen sich plötzlich als künstlich aufgeblasene Staatshüllen, deren Macht nicht weit über die Hauptstädte hinausreichte.

An der Spitze dieser Attrappen standen Autokraten, die mit dem Segen ihrer Schutzpatrone in Washington oder Moskau die Ressourcen ihrer Länder nach Gutdünken plündern konnten - Hauptsache, sie beteten die jeweils richtige Lehre nach. So wurden die jungen Nationen Afrikas von den schwarzen Herren (und ihren weißen Mentoren) um viele Entwicklungschancen gebracht. Als sich die Großmächte zurückzogen und die Wohltaten ausblieben, sackten die Staatshüllen beinahe geräuschlos in sich zusammen; Mobutus Zaire lieferte das klassische Beispiel. Stefan Mair von der Ebenhausener Stiftung für Wissenschaft und Politik stellt trefflich fest: "Der Staat tritt, wenn überhaupt, nur noch als Unterdrückungsorgan oder Bereicherungsinstrument für die ihn dominierende Elite auf."

In den Augen von Jean-Franois Bayart, dem Doyen der französischen Afrika-Experten, hat der Kampf um den Kongo für Afrika eine ähnliche Bedeutung wie der Dreißigjährige Krieg für das Europa des 17. Jahrhunderts. "Es ist ein Krieg um die Bildung von Staaten und eines regionalen Staatensystems." Das Alte stirbt, aber das Neue ist noch nicht geboren - Afrika befindet sich derzeit in einer Übergangsphase, in der jeder vierte Staat zerfällt oder bereits aufgehört hat zu existieren. In Somalia, Sudan, Burundi, Angola, Liberia, Sierra Leone, der Zentralafrikanischen Republik oder den beiden Kongos gibt es keine Staatsgewalt mehr, kein Recht und Gesetz, kein Steuerwesen, kein Bildungs- und Gesundheitssystem, keine Infrastruktur. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist seit Jahren nicht mehr gesichert.

Im Kongo herrscht nur noch eine Macht: das Chaos

Im Herzen des Kontinents sind ganze Landstriche in die Unentdecktheit zurückgesunken; sie treiben ziellos dahin wie Grasinseln auf Urwaldflüssen. Die Paraphe des kongolesischen Außenministers Abdoulaye Yerodia unter dem Abkommen mit der Uno, demnächst UN-Friedensbeobachter in den umkämpften Osten des Landes zu lassen, ist vollkommen bedeutungslos, denn seine Regierung kontrolliert dieses Territorium nicht mehr. Dort herrscht nur eine Macht: das Chaos. Es wurde entfesselt durch Armeeverbände aus sieben Staaten, drei kongolesische Widerstandsfraktionen, Rebellentrupps aus den Nachbarländern, die versprengte Soldateska des ehemaligen Hutu-Regimes in Ruanda, diverse Stammesmilizen und Warlords, die auf den Ruinen von Zaire ihre Kriegsfürstentümer gebaut haben. Nach groben Schätzungen tummeln sich 200000 Bewaffnete im Kongo und seinen Grenzregionen, in einem Urwaldmeer von der Ausdehnung Westeuropas. Feldstecher seien hier nutzlos, befand ein Logistiker der Uno, der das Gelände vorsondiert hatte. Es gibt keine Transportmittel, die Verbindungen zur Außenwelt sind regelmäßig unterbrochen, die Straßen enden im Nichts. Auf diesem Territorium wird ein hochmoderner und zugleich archaischer Krieg geführt, ein Krieg mit Kampfhubschraubern und Macheten, Düsenbombern und Pfeil und Bogen. Aber die Vereinten Nationen tun immer noch so, als handle es sich um das Hoheitsgebiet eines souveränen Staates. Als könnten 5537 Blauhelme einen Frieden observieren, den einige Kampfparteien gar nicht wollen, weil er ihren politischen oder ökonomischen Interessen zuwiderläuft. Der Kongo sei das "Beutefeld Mittelafrikas", schreibt der kongolesische Soziologe Mwayila Tshiyembé, ein Eldorado mit unerschöpflichen Reichtümern: Wasserkraft, Edelhölzer, Diamanten, Gold, strategische Rohstoffe. Die fremden Mächte nutzen die Gelegenheit. Nur zwei Stichproben: Ugandische Militärs, darunter ein gewisser Salim Saleh, der Halbbruder von Präsident Museveni, betreiben einen regen Exporthandel mit Tropenhölzern, Elfenbein und Edelsteinen. In der Provinz Katanga riss sich Vitalis Zvinavashe profitable Bergbauanteile unter den Nagel - er kommandiert die Interventionstruppen Simbabwes im Kongo. Kabila selber hat sich unterdessen zum reichsten Rohstoffmagnaten seines Landes emporgestohlen. Die schwarzen Machtcliquen bedienen sich wie weiland die weißen Kolonialherren. Aasvögel, die den Kontinent ausweiden.

Der Kongo werde im Jahr 2000 für die Zukunft der Uno genauso maßgeblich sein wie das Kosovo im Jahr 1999, erklärte Richard Holbrooke vorigen Dezember, und man wundert sich, woher er immer wieder die Zuversicht nimmt. Der Sonderemissär des UN-Sicherheitsrates hat gerade eine Blitztour durch sieben Länder Afrikas hinter sich. Er wollte den Friedensprozess im Kongo stärken - und kehrte mit leeren Händen heim. Die Weltorganisation wäre besser beraten, wenn sie ihren Auftrag in Sierra Leone erfüllte, ehe sie sich in das nächste Abenteuer im Kongo stürzt, dessen Misslingen ihre Glaubwürdigkeit vollends ruinieren könnte. Das Unternehmen in Zentralafrika droht eine mission impossible zu werden, die Operation in Westafrika ist durchaus machbar - vorausgesetzt, sie verfügt über ein klares Mandat, adäquate Mittel und Blauhelme, die im Ernstfall kämpfen, nicht kuschen. Zur Ermutigung: Vor fünf Jahren wurden die 5000 bis 10000 Banditen, die sich Rebellen nennen, von executive outcomes besiegt. Der unerwünschten Söldnertruppe aus Südafrika gelang das mit 300 Mann!

Afrika, mit schuld an der eigenen Not? Aber ja!

Doch auch im Falle eines Erfolges in Sierra Leone sollten wir uns von dem ehrenwerten, aber realitätsfernen Gedanken verabschieden, Frieden in ganz Afrika von außen herstellen zu können. Denn dieser Kontinent ist aus den Fugen geraten, und die Hälfte seiner Länder müsste für zehn und mehr Jahre unter Kuratel gestellt werden, Flächenstaaten wie der Sudan oder Angola, die Glutwüsten Somalias, der endlose Dschungel des Kongo. Umgekehrt nimmt die Haltung der Bedenkenträger, Nichteinmischer und Zauderer manchmal groteske Formen an: "Für den Fall der tatsächlichen Einstellungen der Feindseligkeiten (im Kongo, d. Red.) wäre die EU bei inneren Fortschritten in Bezug auf Frieden, Demokratie und Achtung der Menschenrechte bereit, ein Wiederaufbauprogramm ... in Betracht zu ziehen." O-Ton Auswärtiges Amt unter der Ägide Fischers. Armes Europa!

Es bleibt genug, was jenseits von Afrika getan werden könnte: Bekämpfung der Kriegsursache Armut durch ein radikal neues Konzept der Entwicklungshilfe; unermüdliche Diplomatie, die Krisen vorbeugt und Konflikte schlichten hilft; ein totales Waffenembargo; strikter Handelsboykott für Beutegut. Wir kaufen nicht mehr bei Kriegsherren! Wenn das südafrikanische Diamantenimperium De Beers sein Gelöbnis in Angola hält, wäre dort schon der halbe Frieden gewonnen.

Die Hauptschuld am tragischen Zustand des Kontinents aber tragen die Afrikaner selber. Nelson Mandela sprach neulich dieses Tabuthema an, und man hat vermutlich noch nie einen afrikanischen Staatsmann so wütend über die Tyrannen und räuberischen Eliten herziehen sehen, die die Früchte der Freiheit ganz alleine aufgefressen haben.

Afrika im Dreißigjährigen Krieg - und der Westfälische Friede noch unendlich fern.

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Quelle: beim Autor/DIE ZEIT 2000 Nr. 21
Wir bedanken uns für die Genehmigung zur Veröffentlichung.