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Anti-Terror-Krieg

Am 11. September 2001 lenkten Luftpiraten drei Verkehrsflugzeuge gezielt in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York und in das Gebäude des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums in Washington. Ein viertes entführtes Flugzeug, das offenbar den Präsidentenlandsitz Camp David treffen sollte, stürzte im Bundesstaat Pennsylvania ab, nachdem es zu einem Kampf zwischen den Attentätern und einigen Passagieren gekommen war.

Die vier Maschinen waren fast zeitgleich von den Flughäfen Boston, Newark und Washington zu Inlandsflügen gestartet und binnen einer Stunde auf ihre Ziele gesteuert worden. Die beiden Türme des World Trade Centers stürzten aufgrund der Hitzeentwicklung bis auf den Erdboden in sich zusammen, ein Flügel des Pentagon wurde zerstört. In den Flugzeugen, in den Türmen des World Trade Centers und im Pentagon kamen über 3.000 Menschen ums Leben.

Nahezu einhellig verurteilten die Regierungen der Welt die gleichsam vor den Augen der Weltöffentlichkeit verübten Terroranschläge. Lediglich der mit den USA verfeindete Irak äußerte Genugtuung. Die NATO sprach in einer ersten Stellungnahme von einem möglichen bewaffneten Angriff auf das Bündnis. In der US-amerikanischen Öffentlichkeit wurde die Wirkung der Anschläge mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor vom 7. Dezember 1941 verglichen. Die US-Regierung versetzte ihre Truppen weltweit in Alarmbereitschaft, sperrte den Luftraum über dem Land und berief 50.000 Reservisten ein. Präsident George W. Bush erklärte, dass sich die USA nun in einem Krieg gegen den Terrorismus befänden. Die Vergeltungsschläge seiner Regierung würden die Terroristen genauso treffen wie jene Staaten und Organisationen, die Terroristen beherbergten oder unterstützten. Bush kündigte einen breit angelegten und dauerhaften Feldzug an, der erst dann sein Ende finden werde, wenn die Terroristen "aus ihren Löchern ausgeräuchert seien" und der Terrorismus aufhöre.

Zu den Anschlägen bekannte sich niemand. Als Entführer der Flugzeuge wurden 19 Männer arabischer Herkunft ermittelt, unter ihnen 15 saudische Staatsbürger. Keiner der mutmaßlichen Attentäter war vor dem Attentat als Parteigänger einer militanten Organisation bekannt. Die meisten von ihnen sollen in den Wochen und Monaten vor der Tat in Europa und den USA gelebt haben, der mutmaßliche Anführer, Mohammed Atta, und zwei weitere Männer für längere Zeit in Hamburg. Als Drahtzieher der Anschläge verdächtigte die US-Regierung bereits nach wenigen Tagen den von Saudi-Arabien ausgebürgerten Dissidenten Osama Bin Laden, der sich unter dem Schutz der Taliban-Regierung in Afghanistan aufhielt. Schon vor dem 11. September war Bin Laden von den USA beschuldigt worden, als Kopf der militanten islamistischen Organisation Al Qaida (Die Basis) für die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im August 1998 verantwortlich zu sein. Bin Laden beglückwünschte die Täter des 11. September in einer Stellungnahme zu ihrem "erfolgreichen" Anschlag, stritt eine Tatbeteiligung jedoch ab. Die USA erneuerten den Taliban gegenüber ihre Forderung nach der sofortigen und bedingungslosen Auslieferung Bin Ladens, die auch durch die Resolution 1267 des UN-Sicherheitsrates vom 15. Oktober 1999 verlangt worden war. Nunmehr erklärten sich die Taliban zu Verhandlungen über eine Auslieferung bereit, forderten aber zunächst Einsicht in die Ermittlungsakten. Gleichzeitig bekundeten sie ihre Entschlossenheit, ihr Land und ihren "Gast" im Falle eines Angriffes in einem Jihad (Heiliger Krieg) zu verteidigen.

Washington wies die Forderung nach Verhandlungen zurück und setzte die Vorbereitungen für einen Militärschlag gegen Afghanistan fort. Vier Flottenverbände nahmen Kurs auf Afghanistan, Spezialeinheiten bereiteten sich auf den Einsatz im Landesinnern vor. Die NATO-Staaten sowie Unterstützer des "Anti-Terror-Krieges" wie Russland und Pakistan konnten einen Teil des von US-Behörden zusammengetragenen Beweismaterials in Augenschein nehmen. Am 2. Oktober rief die NATO zum ersten Mal in ihrer Geschichte offiziell den Bündnisfall aus. Schon am 29. September hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Anschläge in einer Resolution verurteilt und als Bedrohung des Weltfriedens gewertet, zum Einsatz von Waffengewalt gegen die Verantwortlichen aber keine Stellung genommen. Nachdem die Taliban auf ihrer Forderung nach einer Verhandlungslösung beharrten, begannen US-Kampfflugzeuge am 7. Oktober mit der Bombardierung Kabuls und anderer großer Städte Afghanistans. Mit den Luftangriffen gegen Afghanistan, denen der Einsatz von Spezialeinheiten am Boden folgte, griffen die USA in den seit über 20 Jahren andauernden afghanischen Bürgerkrieg ein, dessen Kampfhandlungen von denen des "Anti-Terror-Krieges" der USA gegen Al Qaida und die Taliban seither nicht mehr zu trennen ist. Auf eine Darstellung der Kämpfe in Afghanistan wird deshalb hier verzichtet (vgl. den Beitrag zu Afghanistan). Die bis zum Ende des Berichtsjahres nicht abgeschlossenen militärischen Aktionen der USA führten den Sturz des Taliban-Regimes herbei und zerstörten die Al Qaida-Strukturen in Afghanistan. Osama Bin Laden konnte bis zum Ende des Jahres 2001 jedoch nicht ausfindig gemacht werden.

Die Hintergründe und Ursachen des "ersten Krieges des 21. Jahrhunderts", wie er von einigen Regierungen und Medien fälschlich genannt wurde, sind vielfältig und komplex. Sie können zu diesem Zeitpunkt nur vorläufig benannt werden. Fest steht, dass sich die Militärschläge der USA, die von Großbritannien mit Spezialeinheiten militärisch unterstützt wurden, nicht gegen "den" Terrorismus richteten, sondern gegen eine oder mehrere bestimmte militante Gruppierungen, die sich terroristischer Mittel bedienen. Was Al Qaida und ihre Schwesterorganisationen von anderen militanten Gruppierungen unterscheidet und zum Ziel der US-Angriffe macht, ist nicht der Einsatz terroristischer Gewalt, sondern ihr Ziel: die USA. Ist doch der Einsatz terroristischer Mittel durch staatliche wie nichtstaatliche Akteure längst eine alltägliche Erscheinungsform des weltweiten Kriegsgeschehens und wird es nach Beendigung des US-Feldzuges bleiben. Der Rückgriff auf den Terrorismusbegriff erfüllt im "Anti-Terror-Krieg" - wie in vielen anderen (innerstaatlichen) Kriegen - eine instrumentelle und propagandistische Funktion. So wurden mit Al Qaida verbundene Organisationen in Ländern, die eine strategische Bedeutung für die US-Außenpolitik besitzen, nicht zum Ziel der militärischen oder politischer "Anti-Terror-Maßnahmen" (zum Beispiel die UÆK in Kosovo und Mazedonien oder - bis zum Anschlag auf das indische Parlament am 13. Dezember - die Lashkar-i-Toiba und Jaish-i-Muhammed in Kaschmir). Die Ursachen der Anschläge, die den "Anti-Terror-Krieg" ausgelöst haben, liegen nicht in einer besonderen Erscheinungsform kriegerischer Gewalt begründet, sondern in bestimmten (welt-)gesellschaftlichen Verhältnissen: der Kriegsökonomie des Afghanistankrieges und den politischen Verhältnissen in den Heimatstaaten der Al Qaida-Kämpfer.

In dem seit 1978 andauernden Afghanistankrieg (vgl. den Beitrag zu Afghanistan) hat sich eine Kriegsökonomie herausgebildet, die vom Frontstaat Pakistan bis nach Ägypten und in den Sudan reicht. Ihren Kern bildet ein transnationaler Gewaltmarkt, der dem afghanischen Bürgerkrieg und anderen Gewaltkonflikten, in denen muslimische Interessen vermutet werden, wie zum Beispiel Kaschmir, Usbekistan und Kirgistan, Tschetschenien, Bosnien und Kosovo, ständig neue Kämpfer zuführt. Diese stammen aus so unterschiedlichen Ländern wie Ägypten, Sudan, Saudi-Arabien, Tschetschenien, Jemen und Pakistan. Begründet wurde die kriegsökonomische Struktur schon vor langer Zeit, durch die so genannte "Waffenpipeline", mit der die US-amerikanischen und pakistanischen Militärs die antisowjetischen Mujahedin versorgten. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurde der Nachschub von Waffen durch den Nachschub von Kämpfern ergänzt. Diese sollten nach Vorstellungen des pakistanischen und saudischen Geheimdienstes gleichsam eine internationale islamistische Brigade bilden. Mit ausdrücklicher Unterstützung der USA wurden in den folgenden Jahren über 30.000 gewaltbereite junge Männer aus 43 vorwiegend arabischen und islamisch geprägten Staaten, unter ihnen unzufriedene Dissidenten und gewöhnliche Kriminelle, in afghanischen und pakistanischen Lagern militärisch wie ideologisch geschult und in den Bürgerkrieg geschickt. Der spätere saudische Dissident Osama bin Laden leistete hierzu vor allem logistische Hilfe und gründete zu diesem Zweck die Organisation Al Qaida.

Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan kehrten Bin Laden und die meisten seiner Mitstreiter in ihre Heimatländer zurück, die sich politisch wie und ökonomisch in einer Sackgasse befanden. Als "arabische Afghanen" den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in ihrer Heimat mehr denn je entfremdet, wählten viele den Weg in die innere oder äußere Emigration. Wo sie ihren Unmut politisch artikulierten, taten sie es mehr denn je in der Sprache eines Islamismus, der puritanische und fundamentalistische Züge annahm. Der Lebensweg Bin Ladens, der sich mit dem saudischen Königshaus überwarf und in den Sudan auswanderte, um dann im Mai 1996 nach Afghanistan zurückzukehren, ist hierfür gewissermaßen beispielhaft. Hatte er zunächst gemeinsam mit den USA gegen die Sowjets gekämpft, so wandelte er sich in den 1990er Jahren vom Nutznießer zum Todfeind US-amerikanischer Politik. Hierbei spielte die innenpolitische Lage in Saudi-Arabien und in anderen Staaten ebenso eine Rolle wie die US-amerikanische Außenpolitik in der Region, namentlich der von Saudi-Arabien aus von US-Truppen geführte Zweite Golfkrieg gegen den Irak und die als israelfreundlich perzipierte Nahostpolitik der USA.

Was Bin Laden aus den Tausenden frustrierten Afghanistankämpfern heraushob, war sein bis in die Spitzenränge der pakistanischen und saudischen Geheimdienste reichendes Netzwerk von Kontaktleuten, auf das er sich bei seiner Rückkehr nach Afghanistan verlassen konnte. Einige Monate nach der Einnahme Kabuls durch die Taliban im September 1996 begab er sich in deren Obhut und machte sich durch logistische und militärische Unterstützungsleistungen bald unentbehrlich. Bin Laden hatte großen Anteil daran, dass sich Afghanistan mit der Konsolidierung der Herrschaft der Taliban vom Konsumenten zum wichtigsten Produzenten gewaltbereiter Akteure wandelte. Aus dem Überschuss an mehr oder weniger gut ausgebildeten, aber beruflich und politisch perspektivlosen jungen Männern in den arabischen und islamisch geprägten Staaten wurden den von Al Qaida geführten Ausbildungslagern stets neue Kandidaten zugeführt. Darüber hinaus stellte Bin Laden der Taliban-Führung Einheiten für Operationen hinter den feindlichen Linien der Nordallianz und zur Bekämpfung von Aufständischen zur Verfügung. Es ist anzunehmen, dass die Taliban-Führung Bin Ladens Kämpfer bewusst anheuerte, um ein ehernes Gesetz afghanischer Kriegführung zu brechen: dass nämlich Frontkommandeure die Seiten wechseln, wenn die militärische oder finanzielle Übermacht des Feindes zu stark ist. Pakistanische Presseberichte, denen zufolge "arabische Afghanen" aus dem Umfeld Bin Ladens unmittelbar nach dem Beginn der US-Luftangriffe am 7. Oktober 2001 die Kommandoführung der Truppen in Kandahar übernommen und in vorderster Front gegen die vorrückenden Truppen der Nordallianz gekämpft haben sollen, erscheinen deshalb plausibel.

Aber Bin Laden verfolgte auch eigene Pläne, die sich gegen "den Westen" und die USA als Hegemonialmacht der Region richteten. Die Beendigung der US-amerikanischen Truppenpräsenz in Saudi-Arabien und die "Lösung" des Palästinakonfliktes zählen zu seinen politischen Forderungen. Diese müssen allerdings vor der Folie eines aggressiv antiamerikanischen und antisemitischen Weltbilds, das US-Amerikaner und Juden für fast alle Übel der Welt verantwortlich macht, verstanden werden. Nur so ist zu erklären, dass Bin Laden am 23. Februar 1998 vor Tausenden radikalislamischer Kämpfer zur Bildung einer "Internationalen Islamischen Front zur Bekämpfung von Juden und Kreuzfahrern" aufrief und anwesende islamische Rechtsgelehrte die Tötung von US-Amerikanern und ihren Alliierten - Militärs wie Zivilisten - zur Pflicht eines jeden Muslim erklärten. Im gleichen Jahr soll Al Qaida mit der ägyptischen Gruppe Islamischer Jihad unter Ayman Al-Zawahri, die zuvor den ägyptischen Staat bekämpft hatte, fusioniert und sich auf eine gemeinsame Strategie geeinigt haben. Die Anschläge gegen US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im August 1998 und den US-Zerstörer "Cole" in Jemen im Oktober 2000 stützen diese Vermutung, wenn es auch bisher keine eindeutigen Beweise für eine Mittäter- oder Mitwisserschaft gibt. Auch die von der US-amerikanischen Regierung präsentierte Videoaufzeichnung, in der sich Bin Laden seiner intimen Kenntnis der Anschlagsvorbereitungen rühmt, taugt schon aufgrund ihrer nicht geklärten Herkunft und der teilweise schlechten Tonqualität kaum als Beweisstück.

Die schwierige Beweislage liegt wahrscheinlich nicht in Ermittlungsversagen begründet, sondern in der spezifischen Funktionsweise von Al Qaida und ihr verwandter Organisationen. So gehen auch US-amerikanische Ermittler nicht mehr davon aus, dass es sich bei Al Qaida um eine zentral gelenkte Organisation handelt, an deren Spitze Osama Bin Laden steht. Schon die in Al-Qaida-Lagern ausgebildeten Kämpfer sollen nicht durchgängig einem Kommando unterstellt sein. Einige kämpfen nach der Ausbildung für andere Organisationen, andere sind selbständige Gewaltunternehmer, die sich nach ihrer Ausbildung auf Kriegsschauplätzen ihrer Wahl verdingen. Diese Unabhängigkeit wahren umso mehr jene gut ausgebildeten, mit der westlichen Kultur vertrauten Angehörigen der Mittelschicht, die sich wie einige der 19 Attentäter des 11. September erst nach Jahren in der europäischen oder US-amerikanischen Diaspora einem militanten, den Einsatz terroristischer Mittel favorisierenden Islamismus zugewandt und Anschluss an entsprechende Organisationen gefunden haben. Dass es sich bei den von westlichen Geheimdiensten in 40 bis 50 Ländern entdeckten "Zellen" um Dependancen einer weltweit operierenden Dachorganisation handeln soll, ist praktisch auszuschließen. Nach derzeitiger Quellenlage wäre es schon übertrieben, auch nur von einer dezentralen Form der Organisation oder Koordination zu sprechen. Ebenso irreführend wäre es, die gesamte Diasporazeit der Täter des 11. September und ihrer Gesinnungsgenossen kurzerhand zur Tatvorbereitungsphase zu erklären und damit zu unterstellen, dass sich diese bewusst und strategisch als "Schläfer" scheinakkulturiert hätten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch die Diasporamilieus in Europa und den USA in den Sog einer vor einem Jahrzehnt noch nicht absehbaren Radikalisierung geraten sind. Die Autonomie, die Sicherheitskreise den in Europa operierenden Al Qaida-"Zellen" zusprechen, dürfte weniger einer gezielten Dezentralisierung geschuldet sein als ihrem Gegenteil, einer immer stärkeren Vernetzung ursprünglich separater Gruppierungen. Von daher mutet die etwas hilflose Feinddefinition, die Präsident Bush seinem Volk einige Tage nach den Anschlägen präsentierte, realistisch an: "eine Anzahl lose verbundener terroristischer Organisationen, die unter dem Namen Al-Qaida bekannt ist".

In Anbetracht der Struktur des militanten Islamismus und aufgrund der Tatsache, dass die ihn (re-)produzierenden Widersprüche nicht nur in Afghanistans Kriegsökonomie, sondern auch in den politischen und ökonomischen Verhältnissen der arabischen Staaten zu suchen sind, ist eine mögliche pazifizierende Wirkung des "Anti-Terror-Krieges" bisher nicht absehbar. Fraglich ist auch, ob die USA nach der Zerschlagung von Al Qaida in Afghanistan weitere zerfallene Staaten wie etwa Somalia angreifen werden, wo mit der Al Ittihad al Islami weitere Gesinnungsgenossen Bin Ladens vermutet werden. Militärschläge gegen funktionierende Staaten wie den Irak oder gar den Iran, die von Washington traditionell der Unterstützung des internationalen Terrorismus bezichtigt werden, sind angesichts des zu erwartenden militärischen und politischen Widerstandes eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlich und sogar schon absehbar ist allerdings, dass die Attentate vom 11. September und die militärische Reaktion der USA über den Tag hinaus ihre Wirkung entfalten werden. Augenfällig ist zunächst die ungewöhnlich breite und heterogene Adhoc-Koalition, die von der US-Regierung innerhalb kürzester Zeit zur Unterstützung ihrer "Anti-Terror"- und Anti-Taliban-Politik zusammengebracht wurde: Sie reicht von den NATO-Staaten über Russland und die zentralasiatischen Nachbarstaaten Afghanistans bis hin zu Pakistan, das seit 1999 von einem Militärregime regiert wird. Selbst der mit den USA verfeindete Iran hat die Militärschläge nicht ausdrücklich verurteilt.

Bedeutsamer als die Koalition selbst, die bei einer Ausweitung der militärischen Ziele auf andere Staaten unweigerlich auseinanderbrechen wird, sind die gleichförmigen Auswirkungen auf die Innen- und Außenpolitiken der Staaten. Außenpolitisch dürfte die zum Repertoire vieler Staaten gehörende Unterstützung von "Freiheitskämpfern" in Nachbarstaaten schwieriger zu rechtfertigen sein. Umgekehrt werden viele Regierungen, die von separatistischen oder Antiregime-Bewegungen bedroht werden, sich durch das Beispiel und die erhoffte Zustimmung der USA darin ermutigt fühlen, Aufständische kompromisslos als Terroristen zu bekämpfen. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass die Terrorbekämpfung innerhalb und außerhalb der eigenen Grenzen zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von militärischer und polizeilicher Gewaltverwaltung führen wird. Dies gilt selbst für die entwickelten, nunmehr sich als kriegführend verstehenden Demokratien des Westens. In den USA hat Justizminister John Ashcroft die Staatsorgane nach eigener Einschätzung "mobilisiert und unter Kriegsbedingungen reorganisiert", unter Einschluss einer massiven Sicherheitsgesetzgebung ("USA Patriot Act"). Ein Präsidentenerlass schafft die Möglichkeit, des Terrorismus verdächtigte Personen statt vor ordentlichen Gerichten vor Militärtribunalen anzuklagen. Der Auffassung von Bürgerrechtlern und Anwaltsverbänden, die neuen Gesetze stünden im Widerspruch zur Verfassung und zu den durch sie garantierten Grundrechten, widersprach Ashcroft nicht: "Ausländische Terroristen, die Kriegsverbrechen gegen die Vereinigten Staaten begehen, haben meiner Meinung nach kein Anrecht auf den Schutz der US-amerikanischen Verfassung und verdienen diesen auch nicht." Kurz nach dem 11. September wurden in den USA nach offiziellen Angaben 1.147 Personen aus dem Nahen und Mittleren Osten, zumeist Pakistaner und Ägypter, inhaftiert - ohne Gerichtsbeschlüsse. Sogar die Namen der Inhaftierten wurden der Öffentlichkeit vorenthalten. Bekannt ist lediglich, dass in keinem der Fälle eine Anklage wegen der Terroranschläge am 11. September anhängig sein soll.
Doch nicht nur die Regierung der unmittelbar vom Terrorismus betroffenen USA sieht Handlungsbedarf. In Großbritannien können verdächtige Ausländer, die nicht abgeschoben werden können, ohne Zeitbegrenzung in Polizeigewahrsam gehalten werden. Damit wird mit einer acht Jahrhunderte währenden Tradition des Schutzes der zunächst korporativen, dann individuellen Freiheitsrechte gebrochen. Und in Deutschland wird mit der gerichtlich nicht kontrollierten, umfassenden geheimdienstlichen Sicherheitsüberprüfung von Personen, die in Einrichtungen arbeiten, "die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung entstehen lassen würde", der Schritt vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat vollzogen. Die "Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt", als welche der Bundeskanzler die Terroranschläge bezeichnet hatte, zeitigt weitere Opfer.

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Weiterführende Literatur und Informationsquellen:

  • Bakonyi, Jutta (Hrsg.): Terrorismus und Krieg. Bedeutung und Konsequenzen des 11. September 2001 (Arbeitspapier Nr. 4/2001 der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg), Hamburg 2001
  • Halliday, Fred: Two Hours that Shook the World. September 11, 2001. Causes and Consequences, London 2002
  • Rashid, Ahmed: Taliban. Islam, Oil and the New Great Game in Central Asia, London 2000

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Quelle: Wir danken der Arbeitsgemeinschaft für Kriegsursachenforschung (AKUF) des Fachbereiches Sozialwissenschaften der Universität Hamburg für die Genehmigung zur Veröffentlichung.