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Europas Beitrag zu einer globalen Sicherheitsordnung

Geht es um die Rolle Europas in der Welt macht sich eine merkwürdige Verschämtheit breit. Der Anspruch zur Gestaltung einer globalen Ordnung erscheint vermessen und wird mit sehr ambivalenten Konnotationen - bestenfalls den USA zugestanden.

Dabei tritt Europa seit vielen Jahren als "global player" auf, insbesondere bei der Durchsetzung seiner Wirtschaftsinteressen. Im Bereich der Sicherheitspolitik hat Europa seine Rolle noch nicht gefunden. Doch gerade hier tut eine öffentliche Debatte Not, geht es doch um den Frieden in einer verunsicherten Welt.

Europa hat eine Epoche der friedlichen Entwicklung hinter sich, die zu Recht "Kalter Krieg" genannt wird. Der Krieg war gebannt im geregelten Gegeneinander der Blöcke und, was allzu oft vergessen wird, in andere Weltregionen verdrängt, wo blutige Stellvertreterkriege geführt wurden.

Der Angriff auf die USA markiert eine neue Qualität kriegerischer Auseinandersetzungen. Die seit dem Westfälischen Frieden (1648) durch das Gewaltmonopol des Staates gebändigten Gewaltunternehmer gehen zunehmend wieder ihren Geschäften nach. In Afrika und anderswo treten sie als warlords schwachen oder gar zerfallenden Staaten gegenüber. Unter der Chiffre Al Kaida hat diese Branche nun offenbar ihren globalisierten Ausdruck gefunden.

Frieden und Sicherheit in Europa

Wer sich mit europäischer Friedens- und Sicherheitspolitik beschäftigt, stößt sofort auf die Frage der Grenzen und damit der Identität Europas. Weder geographisch noch historisch oder kulturell lassen sich diese Grenzen eindeutig ziehen. Europa ist da, so könnte man das Fazit unzähliger Debatten ziehen, wo im öffentlichen Raum über Europa diskutiert wird. Genauer ist eine Abgrenzung nicht zu haben. Europa definiert damit seine Grenzen selbst, bisweilen auch um den Preis politischer Ausgrenzung.

Die Debatte um die Rolle Europas beim Aufbau einer globalen Sicherheitsordnung kann nur von den eigenen Erfahrungen ausgehen: Angesichts einer von unzähligen Kriegen geprägten Geschichte, darf die Schaffung der Europäischen Union (EU) sicher als einer der größten historischen Friedenserfolge bezeichnet werden. Die EU ist inzwischen weltweit zu einem Musterbeispiel dafür geworden, wie ein äußerst vielfältiger Kontinent durch ein komplexes System von Institutionen und Kooperationen gelernt hat, seine Probleme durch Interessensausgleich statt durch Gewalt zu lösen.

Die EU hat als Wirtschaftsunion begonnen, ein früher Hinweis darauf, dass zu einer erfolgreichen Friedenssicherung mehr als das Militärische notwendig ist. Die militärische Sicherung hat sich die EU über die NATO organisiert auch dies eine wichtige Lektion- durch Kooperation jenseits der Grenzen von EU und Europa. Daneben haben insbesondere der Europarat und die KSZE (heute OSZE) die Achtung der Menschenrechte und die Förderung der Demokratie jenseits der EU befördert. Wenn nach dem wirtschaftlichen (Comecon) und militärischen Kollaps (Warschauer Pakt) des ehemaligen Ostblocks heute die Transformation der beteiligten Länder und Gesellschaften auf einem sehr schwierigen, doch weitgehend friedlichen Weg ist, dann hat dies seine Gründe auch in der beharrlichen, wenn auch wenig spektakulären Arbeit dieser Organisationen. Heute erweitern sich EU und NATO kontinuierlich nach Osten, beide unterhalten zunehmend Kooperationsbeziehungen zu den künftigen Nachbarn, insbesondere zu Russland. Damit soll die Zone von Frieden und Sicherheit weiter ausgeweitet werden, auch wenn Skeptiker einen "institutional overstretch" befürchten.

Frieden und Sicherheit mit Europa

Das europäische Beispiel ist zu singulär, als dass es sich einfach in andere Regionen dieser Welt übertragen ließe. Angesichts globaler Verwerfungen ist zudem keine Organisation davor geschützt, durch Desintegration erhebliche Bedeutungs- und Funktionsverluste hinnehmen zu müssen. Die UNO aber auch NATO und selbst die EU werden immer wieder auf ihre Problemlösungskompetenz hin befragt. Sicher ist: die alte Weltordnung hat ausgedient doch die Konturen der neuen sind noch kaum in Sicht. Sie wird nicht nur am Konferenztisch verhandelt, sondern entsteht im globalen Ringen von Recht und Macht. Deshalb muß Europa vor dem Hintergrund seiner Geschichte seine Erfahrungen und Argumente zur Errichtung einer kooperativen Stabilitäts- und Sicherheitsordnung einbringen.

Sicherheitspolitik berührt viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Unter einem erweiterten Sicherheitsverständnis gewinnt die Vertretung europäischer Interessen und Werte, insbesondere der Menschenrechte und der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen eine zunehmende Bedeutung im internationalen Engagement der EU. Die Union bietet damit gute Voraussetzungen für eine integrierte und präventiv ausgerichtete Sicherheitspolitik. Das globale Interesse der EU drückt sich zudem in regionalen Kooperationen aus.

Der Balkankrieg und die Anschläge vom 11. September haben auch die Defizite traditioneller Sicherheitskonzepte deutlich gemacht. Doch noch immer zerfällt die Diskussion um die globale Rolle der Europäischen Union in verschiedene, wenig verbundene Fachdiskurse. Gerade im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Frage der europäischen Verteidigungsidentität überwiegen die geostrategischen und verteidigungspolitischen Aspekte. Dem Ziel, von einer "Kultur der Reaktion" zu einer "Kultur der Prävention" (Kofi Annan) zu gelangen, wird diese Verkürzung nicht gerecht. Dazu gehören ein ganzheitliches Verständnis von Sicherheit und eine breite gesellschaftliche Debatte. Wer, wenn nicht die Europäer, wäre dazu in der Lage. Es wird Zeit dass sich die "Schnecke Europa" (Avi Primor), die sich immer langsam aber nie rückwärts bewegt, endlich auf den Weg macht!

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*Klaus Linsenmeier ist Leiter der Abteilung Internationale Zusammenarbeit der Heinrich Böll Stiftung

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Quelle: Perspektiven im Grünen Format 5/2002
Wir bedanken uns bei der Heinrich-Böll-Stiftung für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.