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Keine neue Zeitrechnung

Weltweit wächst die Armut, die Wohlstandsinseln werden immer mehr zu Festungen, die Entwicklung von waghalsigen Produktinnovationen auf den internationalen Finanzmärkten, z.B. immer neue "hedge funds", werden das neoliberale Projekt der Globalisierung weiter vorantreiben.

Die politischen Kräfteverhältnisse verschieben sich dramatisch. Am Tisch der großen Koalition gegen den Terror kämpfen Regierungsparteien und Opposition in den westlichen Industriestaaten um einen Platz in der ersten Reihe. In Deutschland z.B. muss man mit der CDU geradezu Mitleid haben. Denn bei ihren Versuchen sich sicherheitspolitisch zu profilieren, bleibt ihr nur die Rolle des Hasen, während Schily und Schröder als Igel bereits alle Stühle besetzt haben, auf denen die CDU gerne Platz nehmen würde. Der Schutz der freiheitlichen Demokratie gerät zum Vorwand ihrer Abschaffung, ohne dass der geringste Nachweis der vorbeugenden Wirksamkeit der obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen erbracht worden wäre.
 

Kriege kennen keine Moral

International werden Freunde des Terrors, Diktatoren, Kleptokraten und Warlords hofiert und als Mitglieder in das Oberhaus der internationalen Koalition gegen den Terror aufgenommen. Die Geschäftsführung dieser Koalition bleibt jedoch "top secret". Sie wird von den USA absolut kontrolliert. Dass es sich dabei um ein opportunistisches und vor allem asymmetrisches Projekt handelt, geht schon aus der Begriffswahl hervor. Denn eine Koalition ist jederzeit kündbar, während eine Allianz gegen den Terror Beziehungen auf Gegenseitigkeit implizieren würde.

Nach der herrschenden Sprachregelung befinden wir uns im Krieg. Glaubt man der Reagan`schen Politikseilschaft aus dem Kalten Krieg, die unter Bush gerade wieder aktiviert worden ist, dann wird dieser politische Ausnahmezustand noch weitere 25 Jahre dauern. Von demokratischem Widerstand befreit und getragen von einer Woge des Patriotismus, Nationalismus und Chauvinismus des amerikanischen Volkes kann das rechte Politik-Establishment in den USA, das vom Präsidenten abwärts von Erdölinteressen durchsetzt ist, sein Projekt einer unilateralen Dominanz der globalen Wirtschaft durchziehen. Die Antwort auf Terror lautet Terror. Nationale Sicherheit ist wichtiger als die Verfassung, Militärgerichte treten an die Stelle ordentlicher Gerichte. Wenn es um die Durchsetzung nationaler Interessen geht, werden moralische und völkerrechtliche Schranken des militärischen Handelns durchbrochen und nach innen erodiert der Rechtsstaat. Die Stärke fundamentalistischer Strömungen in den Vereinigten Staaten, die sich im Vollzug der Todesstrafe manifestiert, erklärt den politischen Konsens, mit Gegenterror zu antworten. Inwieweit das Europa in Zugzwang bringt oder Europas Teilhabe am Kampf gegen den Terrorismus auf Mäßigung gerichtet ist, muss die nächste Zukunft zeigen. Die Konfrontation jedenfalls wird als total stilisiert und wird daher als nicht verhandelbar präsentiert. Das Insistieren auf bedingungsloser Kapitulation bestimmt erneut die amerikanische Außenpolitik.

In Kriegszeiten wird Staatshandeln zur geheimen Kommandosache. Der Militärapparat und die anderen Sicherheitsorgane wuchern im Schatten der Geheimhaltung. Fehlende Kritik an ihrer Ineffizienz weist sie als geschützte Bürokratien sowjetischen Zuschnitts aus. Trotz ständigen Missmanagements ist das Pentagon vom Kongress bereits mit zusätzlichen Milliarden im zweistelligen Bereich versorgt worden. Damit nicht genug, man setzt im Pentagon offen auf die Notwendigkeit eines staatlichen Konjunkturprogrammes zur Abwendung einer Rezession und erwartet rasant wachsende Zuflüsse an Haushaltsmitteln aus diesem Programm (Aviation Week & Space Technology 15.Okt. S.43). Der Beginn des Rüstungs-Keynesianismus in der amerikanischen Wirtschaftspolitik zeigt sich in der führenden Luftrüstungszeitschrift (Aviation Week & Space Technology)), die von Woche zu Woche mit immer neuen Beschaffungsanforderungen gefüllt ist. Allerdings beschweren sich Militärjournalisten zugleich, dass die Geheimhaltung absurde Formen angenommen hat. Die Rüstungsbürokratie und die verschiedenen Sicherheitsorgane wandeln sich endgültig in ein parlamentarisch nicht mehr kontrolliertes geschlossenes System, das in seiner Arroganz genau die amerikanischen Interessen zu gefährden droht, die dieses Babylon der Verschwendung zu schützen vorgibt (Aviation Week & Space Technology 15.Okt. S.106).

Exkurs: Um 20.000 Kg Sprengmittel in die kriegszerstörten Felsenlandschaften Afghanistans zu bringen, setzt die amerikanische Luftwaffe sog. B-2 Tarnkappenbomber ein. Die Anschaffung eines solchen Bombers hat den amerikanischen Steuerzahler 2 Mrd. US-Dollar gekostet. Nun fliegen diese wohl täglich von den Vereinigten Staaten nach Afghanistan, hierzu werden sie mehrfach in der Luft aufgetankt, sind einen Tag und ein halbe Nacht unterwegs und laden ihre Bomben auf Afghanistan ab. Danach fliegen sie auf die pazifische Insel Diego Garcia, um vor ihrer Rückkehr nach Amerika ein wenig zu schlafen. Diese Insel haben die Briten während des Kalten Krieges aus ihrem kolonialen Portefeuille völkerrechtswidrig den Amerikanern als stationären "Flugzeugträger" zur militärischen Überwachung des persisch-arabischen Golfes übereignet. Die indigene Bevölkerung wurde nach Mauritius zwangsevakuiert. Es hat 25 Jahre gedauert, bis 2001 ein britisches Gericht die Evakuierung für rechtswidrig erklärt hat. Praktische Folgen hat dieser Richterspruch freilich für die in Lagern auf Mauritius lebenden Bewohner von Diego Garcia nicht, denn ihre Rückführung und Entschädigung würde nicht nur die Nachtruhe der amerikanischen Bomberpiloten stören, vielmehr müsste dieser Flugzeugträger samt riesigem Kriegsarsenal aufgegeben werden.

Wenn man alles Fluggerät, Tanker, elektronischen Begleitschutz etc. und die sonstigen Infrastrukturen in Rechnung stellt, so dürfte jeder dieser militärisch eher bescheidenen Bombenabwürfe den Einsatz militärischen Gerätes im Wert von mindestens vier Mrd. US-Dollar direkt beanspruchen. Dennoch denunziert niemand den wirtschaftlichen und ökologischen Wahnsinn dieser militärischen Aktionen. Eine Kombination von Geheimhaltung und politischer Selbstzensur gegenüber allem Militärischen deckt diese Entfaltung einer absurden militärischen Verschwendungstechnologie, die das auch dem Ende des Kalten Krieges fortgesetzte Wettrüsten der USA, nunmehr ausschließlich mit sich selbst, hervorbringt.

Profiteure des 11. Septembers

Für die Konservativen bietet der Terroranschlag eine unverhoffte Gelegenheit zu langfristigem Machterhalt, die sie nutzen werden. Heruntergekommene Diktaturen, vor allem im arabischen Raum, aber auch anderen islamisch geprägten Ländern erhalten durch die Mitgliedschaft in der Koalition gegen den Terror neue wirtschaftliche Spielräume, weil dieses Mitmachen, wie bereits im Golfkrieg, mit Schuldenerlass und gegebenenfalls mit unauffälligen militärischen "Stabilitätshilfen" belohnt wird. Russland sieht sich in seiner menschenverachtenden Strategie in Tschetschenien bestätigt. In Europa besteht die Gefahr, dass der "Schulterschluss" mit den USA nicht zu mäßigendem Einfluss auf die amerikanische Politik genutzt wird. Stattdessen droht auch dort der nationale Sicherheitsstaat proklamiert und Schritt für Schritt exekutiert zu werden.

Hierzu wurde in Deutschland die Figur des Schläfers aus dem Hut gezaubert. Es handelt sich um einen beliebig manipulierbaren Generalverdacht, der Notstandshandeln der Regierenden legitimiert. Die gesamte Bevölkerung wird im Handstreich zu Amateurspitzeln ernannt. Gesellschaftliche Desintegration ist die logische Folge. Dem Generalverdacht ausgesetzte Gruppen, vor allem unter den Einwanderern, rücken zwangsläufig näher zusammen. Die politisch gewollte oder zumindest billigend in Kauf genommene Hysterie führt zu tiefgreifenden Veränderungen. Sie setzt einen Mechanismus in Gang, bei dem die Artikulation des Verdachtes sich schließlich selbst bewahrheiten muss, indem sie kommunikative Distanzen schafft, die irgendwann unüberbrückbar werden. Der Generalverdacht bewirkt die kommunikative Isolation von Personen mit einer ideologisch begründeten Gewaltdisposition und verstärkt Wahrnehmungen, die die Umsetzung solcher Gewaltvisionen mit dem Ziel gesellschaftlicher Veränderung befördern, während gerade deren Rückführung in alltagsweltliche und politische Diskurse notwendig wäre. Denn ein terroristischer Lebenspfad ist das Produkt der Wahrnehmung eines sozialen Umfeldes und der Weltgesellschaft aus einem erworbenen ideologischen Blickwinkel. Er bleibt jederzeit veränderbar. Kommunikation ist dabei ein Schlüssel zur Umkehr.

In der gegenwärtigen Situation muss daher die politische Aufgabe lauten, der einem nationalen Sicherheitsstaat, der unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung errichtet wird, entgegenzutreten, auch und gerade wenn dieser in vielen kleinen Schritten umgesetzt wird. Dies setzt voraus, dass es gelingt, die Ursachen des aktuellen Terrorismus aufzuspüren, um daraus politische Alternativen zum "Krieg gegen den Terrorismus" und Optionen für eine gerechtere Weltordnung zu entwickeln, die das Umfeld für terroristische Akteure beschränkt. Allerdings ist innerhalb der Linken eine Tendenz zu beobachten, aus der überkommenen Kapitalismuskritik eine kurze, meist recht willkürliche Brücke zum 11. September zu schlagen nach dem Motto, man habe es ja schon immer gewusst, wie böse die Amerikaner sind oder wie konfliktträchtig der Kapitalismus ist. Dies mag entlasten und sogar Teilwahrheiten enthalten, aber es trägt wenig dazu bei, konkreten Widerstand gegen die "neue innere Sicherheit" zu leisten, die den Charakter unserer Gesellschaft tiefgreifend verändern wird.

Die Suche nach den Ursachen

Es gibt keine einfache Erklärungsformeln, nur konzentrische Annäherungen an das Ursachenbündel für den Terror. Der von der Politik fahrlässig vor der eingehenden Problemanalyse ausgerufene Krieg gegen den Terrorismus richtet sich überwiegend auf Symptome, die in Afghanistan ausgemacht worden sind. Da Krieg aber nur ein letztes, absolutes Mittel zu Bearbeitung von Konflikten sein kann, steht es mit den Aussichten für eine Überwindung des Terrorismus à la New York schlecht, denn seine Wurzeln liegen woanders, sie werden in Afghanistan nicht getroffen.

Am Anfang der Analyse muss die Erkenntnis stehen, dass Terrorismus ohne eine gesellschaftliche Basis nicht operieren kann. Er ist die Fortsetzung eines gescheiterten oder unmöglichen politischen Dialogs mit anderen Mitteln und fatalen Folgen. Unberechenbare Gewalt zur Erreichung eines politischen Zieles tritt an die Stelle politischen Wettbewerbs. Die am 11.September scheinbar gegen die amerikanisch-kapitalistische Hegemonie eingesetzten Mittel zur vorgeblichen Schaffung einer als Vormoderne gedachten islamischen Ordnung haben eine neue Qualität. Die Risiken, die modernster ziviler Hochtechnologie innewohnen, wurden intelligent kumuliert und zum Schlag gegen eine Kathedrale des Systems genutzt. Diese Form des Terrorismus hat aber zur Voraussetzung, dass die Täter unerkannt ihren Lebensmittelpunkt in einer "global city" (Sassen) haben und so in der Lage sind, das verhasste System aus seinem Zentrum heraus anzugreifen.

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Quelle: Dr. Peter Lock ist Friedens- und Konfliktforscher und Vorsitzender der European Association for Transformation e.V.
Wir danken dem Autor für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.