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Auf dem Weg in eine neue Weltunordnung?

"Seit den Anschlägen des 11.9. ist nichts mehr wie bisher."

Diese Aussage ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist, dass die Terroranschläge die Bedrohungswahrnehmung, vor allem in den USA, deutlich verändert haben. Der Traum von der Unverwundbarkeit Amerikas ist ausgeträumt. Falsch dagegen wäre es, anzunehmen, dass sich seit den Terrorangriffen die strategische Ausrichtung der US-Politik grundlegend verändert hätte. Deren neue Zielsetzungen wurden lange vor dem 11.9. festgelegt. In Dutzenden strategischer Studien entstand das Konzept einer Neuausrichtung der US-Politik vom Kopf bis zu den Gliedern. "Vom Kopf", das meinte von einer Neudefinition der US-Interessen und einer Neuausrichtung der US-Militärstrategie auf Dominanz auf allen Ebenen, "bis zu den Gliedern", das meinte bis zu den einzelnen Instrumenten der Außen- und Sicherheitspolitik, der Bündnis- und Regionalpolitik, den Streitkräftestrukturen und der Bewaffnung. Die Terrorangriffe fanden vor allem Eingang in die Begründungsmuster für den radikalen Politikwechsel, den die Administration unter Präsident George W. Bush vollzieht. Er soll im Herbst in eine neue Nationale Sicherheitsstrategie münden.

Grenzen der Souveränität
Die Bekämpfung von Terrorismus und Proliferation rechtfertigt militärische Interventionen. Zwei neue Rechtfertigungsfiguren treten neben die schon praktizierte "humanitäre Intervention", die wie diese im schriftlich fixierten Völkerrecht keine Legitimation finden. Für militärisches Eingreifen, für das mit einem UN-Mandat nicht gerechnet werden kann, werden Präzedenzfälle geschaffen, auf die man sich künftig berufen kann. Für die Bekämpfung des Terrorismus ist es Afghanistan; für die Bekämpfung der Proliferation soll der Irak zum Präzedenzfall werden. Da die UN-Charta die Souveränität des Nationalstaates hoch gewichtet und die UNO deshalb in vielen Fällen kein Mandat erteilen kann, lässt die US-Regierung die Entscheidung über Krieg und Frieden in einer wachsenden Zahl von Fällen von New York, dem Sitz der UNO, nach Washington umziehen.

Mit dem Argument, das Recht auf Selbstverteidigung schließe auch das Recht zur präemptiven Bekämpfung erkannter Angriffsabsichten ein, spricht Washington sich selbst das Recht zu "defensiven Interventionen" zu d.h. das Recht zu präventivem militärischem Eingreifen, bevor die USA angegriffen werden können. Dies soll weit ausgelegt werden und die Möglichkeit zum Einsatz nuklearer Waffen einschließen. Keine Rolle spielt, ob der erkannte oder vermutete Angreifer ein Staat oder ein nichtstaatlicher Akteur ist. Geprüft wird, ob eine Doktrin der Grenzen nationaler Souveränität erarbeitet werden soll, d.h. ein Verhaltenskodex für jene Regierungen, die sich vor Interventionen sicher wähnen wollen.

Parallel dazu kann beobachtet werden, dass die neue US-Administration mehr oder minder offen Regierungswechsel in einer ganzen Reihe von Staaten betreibt Venezuela, die Philippinen, Afghanistan, Nepal, der Irak und demnächst Myanmar könnten Beispiele sein. Die US-Politik wartet nicht, bis sich Veränderungen ergeben, sondern betreibt diese aktiv.

Multilateralismus a la carte Rüstungskontrolle
Rüstungskontrolle so die Sicht der Bush-Administration - bindet den Stärkeren, stärkt den Schwächeren und schwächt so den Stärkeren. Sie ist deshalb kein vorrangiges Instrument der US-Sicherheitspolitik mehr. Bestehende Verträge werden überprüft, ob sie den US-Interessen dienlich sind oder ob sie die Handlungsfreiheit der USA einschränken. Entsprechend wird gehandelt: Der ABM-Vertrag wurde gekündigt, und mit ihm entfallen auch viele Begrenzungen für eine künftige Militarisierung des Weltraums. Die Unterschrift unter die Konvention des internationalen Strafgerichtshofs ist zurückgezogen. Aufgegeben wurde der Plan, ein Verifikationsprotokoll für das B-Waffen-Verbotsabkommen zu schaffen. Zurückgezogen wurde die Zusage, bis 2006 auf Antipersonenminen zu verzichten und dem Ottawa-Vertrag beizutreten. Die nächsten Schritte sind absehbar: Auf Wunsch des Pentagons wird geprüft, ob die USA ihre Unterschrift unter den nuklearen Teststopp-Vertrag zurückziehen. Der Weltraumvertrag wird in Frage gestellt, weil er die Weltraumrüstungspläne behindert.

Multilateralismus a la carte Bündnispolitik
Traditionelle Allianzen wie die NATO verlieren an Bedeutung; nicht zuletzt, weil sie vor allem in Regionen existieren, die relativ stabil sind bzw. weil die dort existenten Konflikte für die USA selten von strategischem Interesse sind. Dort aber, wo die aus Sicht der USA wesentlichen Veränderungen anstehen im Nahen und Mittleren Osten, in Zentralasien sowie in Süd- und Südostasien, existieren keine gewachsenen Bündnisstrukturen. Für Interventionen in diesen Regionen sind die Bündnispartner in Europa schlecht gerüstet und oft politisch unvorbereitet. Über Jahrzehnte haben sie gelernt, auf geopolitische Ambitionen zu verzichten nun soll plötzlich alles ganz anders sein: Washington macht ihr aktives globales militärisches Engagement zur Voraussetzung für strategische Mitsprache darüber wie mit Interventionen umgegangen wird. Zugleich signalisiert die US-Regierung: Wir können es auch alleine. Wechselnde, nicht feste Allianzen liegen im US-Interesse, vergrößern die Handlungsfreiheit und Flexibilität. Der jüngste "Unified Command Plan", in dem die Aufgaben und Zuständigkeiten der militärischen Oberkommandos der USA neu festgelegt werden, spiegelt beides: Den Wunsch nach größerer Flexibilität und Handlungsfreiheit sowie nach geringeren Bindungswirkungen in traditionellen Bündnissen. Bessere Möglichkeiten zu autarkem Handeln werden angestrebt.

Zwischenbilanz nach zwei Jahren
Unilateralismus ist es nicht, was die US-Administration umtreibt. Die Regierung Bush hält es schlicht im nationalen Interesse für unverzichtbar, bestehende Beschränkungen der amerikanischen militärischen Handlungsfreiheit abzubauen, um flexibler vorgehen und die eigene Dominanz besser ausspielen zu können. Völkerrechtliche Regeln, die wie die UN-Charta kaum oder keinen Spielraum für militärische Interventionen gegen Terrorismus und Proliferation lassen, müssen geändert oder durch die eigene Praxis außer Kraft gesetzt werden. Rüstungskontrollverträge, die das Ausspielen eigener militärischer Stärken behindern, werden aufgegeben oder nicht abgeschlossen. In Allianzen, die anderen Mitspracherechte über die Politik Washingtons garantieren, muss klargestellt werden, dass sie amerikanisches Handeln nicht blockieren dürfen und mitmachen sollten, wenn sie nicht ins Abseits gestellt werden wollen.

Als "Multilateralismus a la carte" hat Richard N. Haas diese Herangehensweise bezeichnet. Sicherheitspolitik ist in diesem Verständnis eine militärische Gestaltungsaufgabe, mithin nicht primär an Stabilität, sondern an Veränderung interessiert. Dabei dient - und dies wäre der Kern einer gerechtfertigten Kritik - die von der Bush-Administration praktizierte Deregulierung der internationalen Beziehungen vor allem einem - dem Stärkeren.

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Quelle: Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).