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Biotechnik in der Lebensmittelherstellung: schon seit Urzeiten

Bereits die Jäger und Sammler der Jungsteinzeit begannen, Tiere in Herden zu halten und die Körner und Früchte wildwachsender Pflanzen, insbesondere von Gräsern, den Urahnen unserer verschiedenen Getreidearten, zu ernten.

Bereits die Jäger und Sammler der Jungsteinzeit begannen, Tiere in Herden zu halten und die Körner und Früchte wildwachsender Pflanzen, insbesondere von Gräsern, den Urahnen unserer verschiedenen Getreidearten, zu ernten. Die Menschen wurden sesshaft und begannen mit Ackerbau und Viehzucht. Sie wurden vom Jäger und Sammler zum Produzenten und Pflanzen und Tiere wurden Bedürfnissen entsprechend verändert. Eigentlich war dieser Schritt vor nahezu 10.000 Jahren die Geburtsstunde der Biotechnologie: 

Menschen überließen die Entwicklung der Wildpflanzen- und Tierarten nicht mehr dem natürlichen Evolutionsprozess, sondern griffen mit technischen - nicht natürlichen - Mitteln in die biologischen Abläufe ein: etwa durch gezielte Auslese oder Schaffung besserer Lebensbedingungen für die Lebewesen in ihrer Obhut.
Die ältesten, tatsächlich auch "biotechnisch erzeugten" Produkte unserer Vorfahren sind die durch Gärung aus Getreidebreien, Früchten und Honig gewonnenen alkoholischen Getränke Bier, Wein und Met. Vor ungefähr 9.000 Jahren, d.h. im siebten vorchristlichen Jahrtausend, wurde in Babylonien und Ägypten bereits Bier gebraut. Man hatte die alkoholische Gärung wohl zufällig beim Lagern von Früchten entdeckt. Die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen, Keilschriften auf assyrischen Tontafeln, zeugen bereits von der Bierherstellung auf "biotechnischem" Wege. Geschichtliche Kunde vom Wein gibt auch das alte Testament: nach der Genesis hat bereits Noah Wein produziert.
Da sich Bier und Wein als alkoholische Getränke schon sehr lange großer Beliebtheit erfreuen, wurden die Herstellungsverfahren im Laufe der Zeit immer weiter verfeinert. Damals konnten die ersten "Winzer" aber kaum vorhersagen, welche Qualität ihr Jahrgang haben würde, geschweige denn, ob er überhaupt trinkbar war: je nachdem, welche Mikroorganismen zufällig den Bottich besiedelten, konnte daraus ein köstlicher Wein oder aber Sauerwein, schlicht "Essig" werden. Auch Essig wussten bereits die alten Kulturvölker für den Hausgebrauch zu nutzen, und Ende des 14. Jahrhunderts entwickelte sich in Orléans eine eigene Industrie, die Essig aus Traubenmaische und Bier herstellte.
Heute ist die alkoholische Gärung ein kontrollierbarer Prozess, da wir die molekularen Grundlagen des Stoffwechsels der verantwortlichen Mikroorganismen, der Hefen inzwischen genau kennen.
Auch bei der Herstellung anderer Lebensmittel nutzt der Mensch seit Urzeiten die Syntheseleistung von Mikroorganismen wie Bakterien oder Pilzen. Die Verwendung von Hefen zum Backen, Milchsäurebakterien für den Sauerteig und Schimmelpilzen für die geschmackliche Verfeinerung von Käse ist Gemeingut vieler Kulturkreise. Die Menschen jener Zeit wussten aber nicht, dass die von ihnen genutzten Prozesse Stoffwechselleistungen von Mikroorganismen sind. 1683 hat Leeuwenhoek erstmals Mikroorganismen (Hefezellen) im Mikroskop sichtbar gemacht, und Mitte des 19. Jahrhunderts kam durch Chemiker und Mikrobiologen schließlich Licht in das Dunkel, denn die produktive Tätigkeit der Mikroorganismen wurde entdeckt: Pasteur beschrieb 1857 die Säuerung der Milch als biologischen Prozess und fand 1864 heraus, dass Mikroorganismen verantwortlich waren für die Oxidation des Alkohols zu Essigsäure. Ende des 19. Jahrhunderts gelang es, chemische Prozesse auch mit zellfreien Extrakten aus Hefen in Gang zu setzen. Die aktiven Komponenten in diesen Extrakten bezeichnete man früher als Fermente, heute als Enzyme, was nichts anderes als "in Hefe vorhanden" bedeutet.
Es wurden jetzt Herstellungsverfahren für eine ganze Anzahl von Stoffwechselprodukten entwickelt. Dazu gehörten die erwähnte Essigsäure, Milch- und Zitronensäure und Lösungsmittel wie Butanol, Aceton oder Glycerin. Milchsäure und Zitronensäure spielen auch heute noch eine große Rolle in der Lebensmittelindustrie. Butanol und Aceton wurden im Ersten und Zweiten Weltkrieg in großen Mengen aus Melasse hergestellt; seit den 50er Jahren allerdings werden diese Substanzen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus Erdöl gewonnen. Die Herstellung von Nähr-, Back- und Futterhefen fällt auch in diese Zeit. Allerdings konnte man noch nicht unter wirklich sterilen Bedingungen arbeiten. Die Lebensmittelherstellung war zwar wesentlich sicherer und zuverlässiger geworden, aber Fremdkeime mussten immer noch in Kauf genommen werden.

Die geschichtliche Entwicklung der Biotechnologie lässt sich in vier Etappen untergliedern. Von etwa 8000 v. Chr. bis Mitte letzten Jahrhunderts hat der Mensch die biologischen Eigenschaften von Mikroorganismen zur Herstellung von Lebensmitteln unbewusst genutzt. Die Entdeckung der Mikroorganismen als "Verursacher" von Gärungsprozessen und die Charakterisierung der in den Mikroorganismen aktiven Enzyme sind Meilensteine der zweiten Etappe. Bis etwa 1940 wurden in einfachen Verfahren Massenprodukte hergestellt, neue Mikroorganismen und deren Stoffwechselwege wurden beschrieben und erste genetische Analysen durchgeführt. In der dritten Etappe, ab 1940, wurden die wissenschaftlichen Grundlagen für die biotechnische Apparate- und Verfahrenstechnik erarbeitet. In speziellen Systemen konnte man unter sterilen Bedingungen Massenprodukte wie Zitronensäure oder Industriealkohole, aber auch sehr spezielle Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen wie das Penicillin herstellen. Die molekularen Grundlagen der biologischen Informationsverarbeitung und -weitergabe wurden erforscht; Anfang der Siebziger Jahre gab es erste Experimente zur Neukombination von Erbmaterial. Dies markiert den Beginn der vierten Etappe, der Ära der "neuen Biotechnologie". Eigenschaften von Mikroorganismen sowie von pflanzlichen und tierischen Zellen konnten jetzt gezielt verändert werden. Die Weiterentwicklungen in Verfahrenstechnik und Apparatebau in Verbindung mit dem Einsatz der Mikroelektronik und der elektronischen Datenverarbeitung führten bis heute zu einer Vielzahl von biotechnischen Systemen zur rationellen Nutzung der zellulären Stoffwechselleistungen.

Durch die Entdeckung des Antibiotikums Penicillin in den Jahren 1928/29 wurde eine neue Phase in der mikrobiologischen Stoffgewinnung eingeleitet. Allerdings dauerte es trotzdem noch rund 20 Jahre, bis die Entdeckung von Alexander Fleming die Biotechnologie tatsächlich revolutionierte: Für die im Jahr 1943 gestartete großtechnische Produktion von Penicillin musste eine neue Verfahrenstechnik entwickelt werden. Wegen der Empfindlichkeit des Penicillinmoleküls gegenüber dem von Bakterien produzierten Enzyms ß-Lactamase mussten die Bioreaktoren, in denen das Antibiotikum von dem Schimmelpilz Penicillium chrysogenum produziert wurde, absolut steril gehalten werden. Nachdem dies erreicht war, konnten auch andere wertvolle Stoffwechselprodukte wie Vitamine, Aminosäuren und Enzyme gewonnen werden. Die Bedeutung dieser Substanzen für Ernährung und Gesundheit ist weitreichend, die Entwicklung dieser Prozesse noch lange nicht abgeschlossen.
Die großen Fortschritte, die im Lauf der 2. Hälfte dieses Jahrhunderts gemacht wurden, waren aber letztlich immer noch züchterische Zufallsprodukte. Mikroorganismen wurden mit Chemikalien oder UV-Strahlen behandelt, um die Anzahl von Veränderungen im Erbgut, die sog. Mutationsrate, zu erhöhen. Natürlicherweise auftretende Mutationen, Grundlage für die Evolution des Lebens auf der Erde, sind zu selten, um in angemessenen Zeiträumen züchterische Erfolge zu ermöglichen. Nur durch zeitaufwendige Suchvorgänge konnten anschließend unter vielen Milliarden die wenigen Mikroorganismen identifiziert werden, die - im Sinne des Zuchtziels - positive Veränderungen aufwiesen. Die Selektion erfolgte nur nach dem Phänotyp, d.h. einer äußerlich feststellbaren Eigenschaft, wie etwa der erhöhten Produktionsrate für Zitronensäure; die genetische Ursache aber blieb verborgen.
Mit Entwicklung der Gentechnik Mitte der siebziger Jahre wurde eine neue Ära der Biotechnik und damit letztlich auch der Lebensmittelgewinnung eingeläutet. Stanley Cohen und Herbert Boyer haben in San Francisco 1973 erstmals neukombiniertes Erbmaterial in ein Bakterium eingeschleust. Das war der Schlüssel für die gezielte "Umprogrammierung" von Mikroorganismen zu Produktionszwecken. Weil das Erbmaterial aller Lebewesen auf dieser Erde nach dem gleichen Prinzip aufgebaut ist, waren die verwendeten E. coli-Bakterien nun in der Lage, die eingebrachte Erbinformation z.B. zur Produktion für das Humaninsulin zu lesen und das entsprechende Produkt, eben das menschliche Hormon Insulin, auch tatsächlich zu produzieren. Damit könnte, wie dies im Ausland schon seit fast 15 Jahren geschieht, auch in Deutschland auf lange Kühlketten verzichtet werden. Denn zehn bis elf Tonnen Bauchspeicheldrüsen von Schweinen, die für die herkömmliche Insulinproduktion gebraucht werden, müssen hier noch täglich von den Schlachthöfen dieser Welt zur Herstellerfirma transportiert werden. Das entspricht mehr als 50.000 Bauchspeicheldrüsen von Schweinen pro Tag (Stand 1992).

Die Zahlen (in Mrd. ECU) verdeutlichen das Potential biotechnischer Verfahren in den verschiedenen Anwendungsbereichen im Binnenmarkt (es gibt eine Reihe von alternativen Schätzungen, die jedoch alle das erwartete explosive Wachstum bestätigen).

                                                        BIOTECHNOLOGIE-MARKTDATEN
Sektor 

  1990 

Schätzung für
2000
                                                                                                                                                                                      

Gesundheit

1,2

23,9

Chemie

0,1

14,6

Landwirtschaft
und Lebensmittel

2,4

40,0

Umwelt

0,4

2,0

Verfahrenstechnik

1,0

2,8

Summe

5,1 83,3 


Auch in der Lebensmittelindustrie werden einige Substanzen, wie wir später sehen werden, heute durch entsprechend "umprogrammierte" Mikroorganismen produziert. Parallel hierzu bestimmen die Entwicklung von neuen Bioreaktoren und Fortschritte in der Mess- und Regeltechnik zur computerkontrollierten Automation zahlreicher Bioprozesse die neue Ära der Biotechnik.

Die heutige Vielfalt unseres Lebensmittelangebots, sei es im Supermarkt, sei es im "Tante Emma-Laden", ist ein Produkt des Einsatzes von modernen Verfahren in der Lebensmittelherstellung. Dies wird uns erst jetzt bewusst, in Verbindung mit der stark öffentlichkeitswirksamen Gentechnik-Debatte. Natürlich müssen wir überlegen, inwieweit eine weitere Technisierung unserer Umwelt, im vorliegenden Fall in der Landwirtschaft oder in der Lebensmittelherstellung, für wen und für was sinnvoll oder nicht sinnvoll ist. Der Einsatz moderner, höherwertiger Technik führt aber nicht automatisch zu industriell stärker be- und verarbeiteten Lebensmitteln: er kann auch zu einem schonenderen Umgang mit dem Lebensmittel führen. Zum Beispiel kann durch aseptisches Abpacken oder Abfüllen das Sterilisieren in luftdicht verschlossenen Behältnissen über eine längere Zeit bei hohen Temperaturen vermieden werden. Der Einsatz einer solchen höherwertigen Technik trägt sowohl zur Entlastung der Umwelt wie auch zur kommerziellen Optimierung von Produktionsprozessen - einem legitimen Ziel eines Wirtschaftsunternehmens - bei. Letztlich ist die Technik Voraussetzung für die Erschwinglichkeit von Lebensmitteln. Der Einsatz der Gentechnik in der Lebensmittelgewinnung bringt keine neue Dimension in die Diskussion.

Speiseplan aus dem 15. Jahrhundert

morgensmittagsabends
 Sommerkost (Mai bis September)

geschmälzte Wassersuppe

Gerste, Kraut, Milch

Milchsuppe, Kraut, Milch

Winterkost

geschmälzte Wassersuppe, Grütze

Milchsuppe, Kraut

Milchsuppe

Fleischverzehr

Sonntag, Dienstag, Donnerstag: Schweinefleisch unter das Kraut geschnitten


Der dargestellte Speiseplan des Chorherrenstifts Indersdorf in Oberbayern aus dem Jahr 1493 möge verdeutlichen, wieviel schmackhafter und vielseitiger Ernährung heute sein kann: Essen und Trinken machen Spaß - nicht zuletzt natürlich auch deswegen, weil wir Zeit dafür haben! Das birgt aber auch Gefahren: viele Menschen essen heute zum einen schlicht zuviel, zum anderen einseitig nur noch das, was ihnen schmeckt. Wenn wir heute so oft von "ernährungsabhängigen" Erkrankungen und damit verbundenen hohen Kosten im Gesundheitswesen hören und lesen, dann ist es allzu leicht, die Schuld auf "ungesunde" Lebensmittel zu verfrachten. Denn, bis auf wenige Ausnahmen, sind es unsere Essgewohnheiten und nicht das Angebot an Lebensmitteln, die uns "krank" machen.


Quelle: BLL