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Die "Gentomate"

Die FlavrSavr®-Tomate kam als erstes "gentechnisch verändertes" Lebensmittel auf den Markt.

Keine Chance zum Nulltarif: die "Gentomate"
Die FlavrSavr®-Tomate kam als erstes "gentechnisch verändertes" Lebensmittel auf den Markt. Sie wird in den US-Supermärkten als "Mc Gregor's Tomato ­ grown from FlavrSavr®-seeds" vermarktet. In Großbritannien ist ein Tomatenpüree aus einer ähnlichen Tomatensorte im Handel. Es ist freiwillig gekennzeichnet als "made with genetically modified tomatoes" und wird nach Herstellerangaben mit großem Erfolg verkauft.

Der Mensch "isst" immer Gene
Beißt der Verbraucher in eine Tomate, so verspeist er unzählige einzelne Tomatenzellen ­ und mit jeder Tomatenzelle einen Satz des kompletten Erbmaterials, d.h. alle Gene, die eine Tomate hat. Das trifft genauso auf jedes andere Gemüse, jedes Obst und natürlich auch auf Fleisch zu. Eines der wenigen Lebensmittel, das keine DNA mehr enthält, ist der Zucker.

DNA ist überall
Das Erbmaterial, meist kurz als "DNA" bezeichnet, ist ausgesprochen stabil. Beim Zubereiten durch Kochen etwa werden die Gene nicht zerstört, lediglich die Doppelstrangstruktur der DNA löst sich in die beiden Einzelstränge auf. So enthalten auch die zubereiteten Speisen allesamt DNA. Trinken wir Bier oder Wein, enthalten die Getränke neben Resten des pflanzlichen Erbmaterials auch die DNA der verwendeten Mikroorganismen, in diesem Fall die der Wein- bzw. Bierhefen. Aus toten Pflanzenzellen, Tieren und Mikroorganismen werden täglich große Mengen von DNA in die Luft, das Wasser und den Boden freigesetzt.
Bei der Herstellung von Lebensmitteln aus Rohstoffen werden die Zellstrukturen oft völlig zerstört, und die DNA liegt dann ­ wie auch alle anderen Zellinhaltsstoffe ­ frei vor. Dies geschieht z. B. beim Mahlen von Getreide zu Mehl oder Gries. Dieser Prozess zerkleinert auch das Erbmaterial, dessen Struktur man sich wie eine sehr lange, dünne Glasfaser vorstellen kann. Durch die einwirkenden Kräfte brechen die extrem dünnen "Fasern" zufallsbedingt an den verschiedensten Stellen durch: Es entstehen viele kurze DNA-Fragmente. Dasselbe geschieht auf chemischem Weg bei der Verdauung der mit der Nahrung aufgenommenen Gene im Magen-Darm-Trakt. Dabei wird die DNA teilweise sogar bis zu den kleinsten Einheiten, einzelnen Nucleotiden, abgebaut (anschließend werden die mehr oder weniger großen DNA-Stücke zusammen mit allen anderen verdauten Nahrungsbestandteilen über die Darmschleimhaut in den Blutkreislauf aufgenommen und zur Leber transportiert. In der "Kontrollstation" Leber wird weiter ab- oder wieder auf- bzw. umgebaut und schließlich entschieden, was zur Verteilung im Körper zugelassen wird).

Die Tomate ist geprüft
Die FlavrSavr®-Tomate wurde von der zuständigen US-Genehmigungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) zugelassen. Nach mehreren Jahren umfassender Prüfung hatte sich herausgestellt, dass diese Tomate "genauso unbedenklich ist, wie alle anderen auf dem Markt befindlichen Tomaten". Aufgrund der sehr strengen Gesetzgebung zur Produkthaftung in den USA sind diese Prüfungen für die beteiligten Firmen besonders wichtig. Wenn ein Produkt nach der Markteinführung wie auch immer geartete "Nebenwirkungen" zeigen würde, käme es zu erheblichen Schadensersatzansprüchen an die Herstellerfirma. Es sei nur an die alte Dame erinnert, die kürzlich einen Schadensersatzprozess über mehrere Millionen US-Dollar in erster Instanz gegen die Firma McDonald's gewonnen hat: Der Kaffee, den sie sich beim Autofahren über die Beine schüttete, war zu heiß.

Die mit gentechnischen Methoden gezüchtete FlavrSavr®-Tomate wurde in langjährigen Analysen auf jedes denkbare Risiko hin genau überprüft. Die amerikanische Zulassungsbehörde hat ihr völlige Unbedenklichkeit bescheinigt. Bei herkömmlich gezüchteten Tomaten finden viele der Sicherheitsüberprüfungen gar nicht statt, obwohl die theoretischen Risiken hier genauso vorhanden sind.

Diskutiertes Risiko: "Positionseffekte"
Durch Einführung eines Gens könnten an der Einführungsstelle Veränderungen in der DNA auftreten, die man als Positionseffekte umschreibt: Im vorliegenden Fall könnte z.B. ein in der Nähe der Einführungsstelle liegendes, anderes Tomatengen beeinflusst werden: Das entsprechende Tomatenprotein würde damit in niedrigeren oder höheren Konzentrationen gebildet. Durch eine solche zusätzliche bzw. reduzierte Proteinaktivität könnten dann in der Tomate Pflanzeninhaltsstoffe entstehen, ausfallen oder in anderen Konzentrationen auftreten. Das könnte theoretisch auch die sogenannten "Alkaloide" betreffen. Das "Tomatin" der Tomate ist ein Alkaloid, das in höheren Konzentrationen giftig wirkt.
Diese theoretischen Risiken wurden in langjährigen Verfahren analysiert und von der US-Gesundheitsbehörde (FDA) überprüft. Es haben sich keinerlei Hinweise auf derartige Veränderungen ergeben. Gesundheitliche Bedenken gibt es bei der neuen Tomate daher nicht. Durch das zusätzlich in umgekehrter Orientierung eingebrachte, tomateneigene Gen entsteht kein neues Protein, sondern das Protein, das für den schnellen Verderb verantwortlich ist, wird nur noch in sehr geringen Mengen gebildet. Deswegen hat sich die FDA auch gegen eine besondere Kennzeichnung ausgesprochen. Weil die Tomate nicht grün geerntet werden muss, sondern durch das Reifen am Stock offensichtlich ihr volles Aroma entfalten kann, weist der Hersteller allerdings selbst auf die neue Eigenschaft der Tomate hin.

Die befürchteten Risiken sind nicht Gentechnik-spezifisch
Bei den beschriebenen Positionseffekten handelt es sich wiederum nicht um "Gentechnik-spezifische" Risiken: Jede neue Tomaten- und andere Gemüse- oder Fruchtsorte, die "klassisch" gezüchtet wird, birgt dieselben, wenn nicht sogar höhere "Risiken". Während eine Pflanze mit einer gentechnisch eingeführten Zuchteigenschaft nach den Auflagen des Gentechnik-Gesetzes (bzw. den entsprechenden Auflagen in den USA) durch die erwähnten Prüfverfahren laufen muss, trifft dies für "herkömmlich" gezüchtete Sorten nicht generell zu.
Die wesentlichen Punkte bei der "normalen" Sortenprüfung beziehen sich vielmehr auf die Stabilität der neuen Eigenschaft in der Pflanze und ihren Folgegenerationen, ihre landwirtschaftliche Verträglichkeit und darauf, ob die zuzulassende Sorte auch tatsächlich einen Vorteil gegenüber den bestehenden aufweist. Dieses 5-6jährige Prüfverfahren muss jede neue Sorte durchlaufen ­ selbstverständlich auch die, bei deren Züchtung die Gentechnik zum Einsatz kam. Bei letzteren kommen zudem die Auflagen des Gentechnik-Gesetzes zur Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen zum Tragen.

Das diskutierte Risiko "Verbreitung eines Antibiotika-Resistenzgens" ist Gentechnik-spezifisch
Ein tatsächlicher Unterschied zu anderen neuen Tomatensorten ergibt sich in der Risikobetrachtung des zusätzlich als Markergen (Erkennungszeichen) in die "Gentomate" eingebrachten Antibiotika-Resistenzgens. Dieses Antibiotika- Resistenzgen enthält den Bauplan für ein Enzym, welches das heute kaum noch verwendete Antibiotikum Kanamycin unschädlich macht (es dient bei der Züchtung dem Auffinden der Tomatenzellen, bei denen der gewünschte Gentransfer stattgefunden hat, sozusagen zur "Trennung der Spreu vom Weizen": nur diese Tomatenzellen können auf kanamycinhaltigen Nährböden wachsen).
Falls Bakterien im Darm von Menschen, welche die neue Tomate verzehrt haben, ein solches Antibiotika-Resistenzgen aufnehmen, in ihr Genom einbauen und dann tatsächlich das entsprechende "Resistenz"-Protein bilden würden, hätte dieses spezielle Antibiotikum bei einer durch diese Bakterien verursachten Magen-Darm-Infektion vielleicht keine Wirkung mehr: Dieses Risiko gilt es zu bewerten.

Risikobetrachtung: Resistenzen gegen Antibiotika
Antibiotika-Resistenzen von Mikroorganismen sind weit verbreitet und besonders häufig dort zu beobachten, wo vor allem Breitbandantibiotika in größeren Mengen verabreicht werden: Krankenhäuser waren und sind auch heute noch ein großer "Tummelplatz" vieler resistenter Bakterienstämme. Meistens stehen alternative Antibiotika zur Verfügung, um der resistenten Stämme Herr zu werden. Jedoch: der verbreitete Einsatz neuer Antibiotika bedeutet mit einer Zeitverschiebung meist auch das Auftauchen neuer Resistenzen.
Solange keine alternativen Wege zur Bekämpfung von Infektionen entwickelt worden sind (die Gentechnik ist aus diesem Bereich der Grundlagenforschung nicht mehr wegzudenken), sollte bei der ­ wenn auch nur als Risiko diskutierten- Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen in allen Bereichen mit Vorsicht umgegangen werden. Heute ist es technisch bereits möglich, in der Züchtung als Marker benötigte Antibiotika-Resistenzgene durch Rückkreuzung wieder zu entfernen. Dies sollte bei zukünftigen Pflanzengenerationen entsprechend prinzipiell geschehen.

Fallbetrachtung: Kanamycin
Das geschilderte Risikoszenario: "Darmbakterien nehmen Kanamycin-Resistenzgen aus Tomate auf" sollte aber auch noch etwas näher betrachtet werden. In einer Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen konnten keinerlei Anhaltspunkte für eine solche Genübertragung gefunden werden. Sollte dieser sehr unwahrscheinliche Fall (s. u. Expertenmeinung) trotzdem einmal auftreten, dann wären einige Darmbakterien des oder der Betroffenen tatsächlich resistent gegen Kanamycin. Die Frage dieses individuellen "Resistenzrisikos" gegen Kanamycin kann aber bei ernsthafter Betrachtung nicht Grund für die Ablehnung der Technologie insgesamt sein ­ zumal das Kanamycin bei Magen-Darm-Infektionen schon lange nicht mehr verordnet wird. Es stehen längst bessere, d.h. nebenwirkungsärmere Antibiotika zur Verfügung.

Zusammengefasste Expertenmeinung
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet erscheint eine Resistenzübertragung extrem unwahrscheinlich:

  • Bakterien nehmen Fremd-DNA "freiwillig" nicht auf. In Form von ringförmigen Plasmiden allerdings sind Bakterien u.U. bereit, dieses Material zu akzeptieren: dieser Mechanismus ist ihnen von Natur aus zur Übertragung von bestimmten Eigenschaften von einem auf das andere Bakterium bekannt. Will man Bakterien im Reagenzglas dazu bringen, Plasmide aufzunehmen, so erreicht man dies etwa in einer Größenordnung von 1:10.000 (jedes 10.000ndste Bakterium nimmt ein Plasmid auf). Diese "Trefferquote" erreicht man aber nur dann, wenn man zuvor die Zellwand der Bakterien mit chemischen oder physikalischen Methoden (z.B. mit Ultraschall) kurzfristig "durchlöchert" hat.
  • Das Resistenzgen ist in das Erbmaterial der Tomate integriert, es handelt sich nicht um ein Plasmid. Abgesehen davon, dass Bakterien fremde, nicht "plasmidförmige" DNA nicht aufnehmen, müsste im vorliegenden Fall das Gen zunächst unversehrt aus der riesigen pflanzlichen DNA-Menge im Magen-Darm-Trakt "herausverdaut" werden. Nach der Aufnahme in ein Bakterium müsste es zudem so ins bakterielle Genom eingebaut werden, dass es auch tatsächlich aktiv sein kann.
  • Man schätzt, dass wir mit der Nahrung täglich mindestens 1,5 Millionen Mikroorganismen, die natürlicherweise Antibiotika-Resistenzgene tragen, zu uns nehmen. Theoretisch ist die DNA-Übertragungswahrscheinlichkeit von Bakterium zu Bakterium höher als von pflanzlichen oder tierischen Zellen auf Bakterien. Es gibt aber keinerlei Hinweise darauf, dass eines der unzähligen Gene, die wir tagtäglich mit der Nahrung aufnehmen, jemals auf unsere Darmflora übertragen worden wäre.


Der Verbraucher wird entscheiden
Die Frage "brauchen wir eine solche Tomate" wird letztlich der Verbraucher durch Kauf bzw. Nichtkauf beantworten. Wenn ihm die Tomate tatsächlich besser schmeckt, wird sie sich, bei einem wettbewerbsfähigen Preis, auch im Markt durchsetzen. Eines hat die neue Tomate auf jeden Fall jetzt schon erreicht: als Konkurrenz das Geschäft belebt, obwohl noch gar nicht in europäischen Supermarkt-Regalen vorhanden. Denn die traditionellen Tomatenproduzenten reagieren bereits: Durch veränderte Produktionsmethoden wollen auch sie wieder aromatischere Tomaten auf den Markt bringen.

Quelle: BLL