Klimawandel

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Quelle: Dieter Kasang

Anthropozän

Leben wir in einer neuen Epoche der Erdgeschichte? Ist das Eiszeitalter durch den Klimawandel beendet worden und das Anthropozän hat begonnen?

Was ist das Anthropozän?

Der Begriff "Anthropozän" wurde 2002 von dem Nobelpreisträger für Chemie Paul Crutzen geprägt.1 Nach Crutzen hat der Mensch seit 200-300 Jahren entscheidend die natürliche Umwelt verändert, nicht mehr nur lokal, sondern global. Als wichtigste Veränderung sieht Crutzen den Klimawandel durch die Erhöhung der atmosphärischen Konzentration von Treibhausgasen, außerdem das antarktische Ozonloch, die Nutzung von 30-50 % der globalen Landoberfläche durch den Menschen, die Ausbeutung der Meere durch die Fischerei, Landschaftsveränderungen durch Deichbauten, Flussumlenkungen u.a. Phänomene.

Geologische Epochen werden traditionell nach den Merkmalen von Gesteinsschichten bestimmt. Nach zahlreichen Untersuchungen finden sich in den Sedimentschichten der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte zunehmend 'technische Fossilien' wie Aluminium, Betonreste, Plastikteilchen, Kohlenstoffverbindungen aus der Verbrennung fossiler Energieträger, Fallout aus Atombombenversuchen u.a. Zudem weist die Atmosphäre Kohlendioxid- und Methanmoleküle aus anthropogenen Aktivitäten auf und zeigt eine Erwärmung seit 1900 um über 1 °C, was deutlich über den Schwankungen der letzten 14 000 Jahre liegt. Auch der Meeresspiegel steigt schneller als sonst im späten Holozän. Hinzu kommt, dass das Artensterben sich unter dem menschlichen Einfluss deutlich beschleunigt hat. Dennoch ist das Anthropozän als eigene geologische Epoche noch nicht offiziell anerkannt.2

Wann begann das Anthropozän?

Der Beginn des Anthropozäns ist umstritten. Hier stehen sich die Vertreter eines sehr späten (um 1950), eines späten (um 1800) und eines sehr frühen Beginns (vor rund 7000 Jahren) gegenüber.3, 3a Erstere verweisen darauf, dass sich die Einwirkungen des Menschen auf seine Lebensumwelt erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts soweit beschleunigt und verstärkt haben, dass von einer gravierenden Veränderung der Erde gesprochen werden kann. Sie verweisen etwa auf den rasanten Anstieg der Weltbevölkerung und Verstädterung, auf den beschleunigten Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, auf die Versauerung des Ozeans, auf die hohe Belastung der Natur durch chemische Schadstoffe, auf das zunehmende Artensterben und auf die Freisetzung von Radionukliden durch Atombombenexplosionen. Es ist aus diesem Kreis sogar vorgeschlagen worden, den Tag der ersten Atombombenexplosion, den 16. Juli 1945, zum exakten Beginn des Anthropozäns zu deklarieren.3a Die Vertreter eines späten Beginns plädieren dagegen dafür, das Anthropozän mit der industriellen Revolution beginnen zu lassen, da zu dieser Zeit die Prozesse, die sich später immer mehr beschleunigten, deutlich eingesetzt hätten. Dabei wird auf das Wachstum der Bevölkerung auf der Erde verwiesen, auf den zunehmenden Energieverbrauch vor allem aus fossilen Rohstoffen sowie auf den Anstieg der CO2-Emissionen.

© Koch et al. 2019


Abb. 1: Vorkoloniale Landnutzung, Epidemien um 1600 und die FolgenB1

Etwas früher sehen jene Wissenschaftler den Beginn des Anthropozäns, die die 'Epoche des Menschen'  mit der Neuzeit beginnen lassen, genauer mit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus im Jahre 1492.3b  Durch das Aufeinandertreffen der alten mit der neuen Welt habe es weltweite Auswirkungen gegeben. Der europäischen Invasion auf dem amerikanischen Doppelkontinent sind in wenigen Jahrzehnten bis zu 90% der etwa 50 Millionen Ureinwohner zum Opfer gefallen, vor allem durch eingeschleppte Seuchen, aber auch durch Zwangsarbeit, Kriege, Zwangsumsiedlungen und Hunger. Die vorhandene, relativ weit entwickelte Agrarwirtschaft brach aus Mangel an Arbeitskräften zusammen. Auf den brach liegenden Feldern siedelte sich natürliche Vegetation an, die erhebliche Mengen an Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnahm, was im 16. Jahrhundert eine Absenkung der globalen CO2-Konzentration um 7-10 ppm zur Folge hatte und die kälteste Phase der Kleinen Eiszeit einleitete. Hinzu kam ein globaler Austausch von Anbaupflanzen und Nutztieren.

© Eigene Darstellung nach Rudimann 2003 und 2007

Abb. 2: Die beobachtete Entwicklung der Kohlendioxid- und Methan-Konzentration in den letzten 10 000 Jahren sowie der wahrscheinliche natürliche Trend ohne anthropogene CO2- und CH4-Emissionen. Außerdem ist die Abnahme der Sonneneinstrahlung gezeigt.B2

Als Begründer der These von einem "frühen Anthropozän" gilt der amerikanische Forscher W. F. Ruddiman.5;6 Nach ihm hat der Einfluss des Menschen auf die Zusammensetzung der Atmosphäre weit vor dem Industriezeitalter begonnen. Die Methankonzentration zeige bereits ab 5000 vh. einen menschlichen Einfluss, die CO2-Konzentration sogar seit 8000 Jahren vh.

© Wikimedia, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Centres_of_origin_and_spread_of_agriculture.svg


Abb. 3: Karte der Ursprungszentren der Landwirtschaft (Jahre vh.) und ihrer AusbreitungB3

Vor etwa 5000 Jahren stieg die Methankonzentration von einem Minimum bei rund 600 ppb allmählich auf den vorindustriellen Wert von ca. 700 ppb (heute: ca. 1800 ppb) an. Dieser Anstieg ist nach Ruddiman durch natürliche Faktoren nicht zu erklären. Vielmehr wird angenommen, dass die Ursache im Beginn des Reisanbaus auf bewässerten Feldern in China und Indien liegt. Der Reisanbau setzte bereits vor 7500 Jahren vh. ein; um 5000 organisierten dann die entwickelten Gesellschaften in China und Indien den Nassreisanbau.5

Der CO2-Gehalt hat nach dem Ende der vorausgegangenen Eiszeit zunächst auf 268 ppm zwischen 10 000 und 11 000 Jahre vh. zugenommen und erreichte vorindustriell 280-285 ppm (aktuell: 410 ppm). Für diesen Verlauf des CO2-Trends sieht Ruddiman eine anthropogene Ursache. Ab etwa 8000 vh. begann sich der Ackerbau, der um 11 000 vh. im Vorderen Orient entstanden war, in die bewaldeten Regionen Südost- und Mitteleuropas auszubreiten, was mit starken Waldrodungen und CO2-Emissionen verbunden war. Zu ähnlichen Prozessen kam es in China und Indien und einige Jahrtausende später in den Hochkulturen Mittel- und Südamerikas.5

Der globale Erwärmungseffekt durch die vorindustriellen anthropogenen Methan- und Kohlendioxidemissionen beläuft sich nach Ruddiman (2003) auf 0,8 °C und ist damit fast so hoch wie die globale Erwärmung seit Beginn der Industrialisierung bis heute, die allerdings über einen wesentlich kürzeren Zeitraum erfolgte. In den hohen Breiten beträgt aufgrund der dortigen Rückkopplungsprozesse dieser Effekt sogar 2 °C. Tatsächlich aber hat sich die Erde seit dem frühen Holozän aber nicht wirklich erwärmt, sondern abgekühlt. Der Grund ist, dass die kontinuierliche Abnahme der Solarstrahlung der vorindustriellen anthropogenen Erwärmung entgegenwirkte. Die tatsächliche Abkühlung wäre z.B. in der Kanadischen Arktis um 2 °C höher ausgefallen, wenn es keine anthropogenen Treibhausgasemissionen gegeben hätte. Eine Konsequenz wäre gewesen, dass sich seit etwa 5000 vh. im nordöstlichen Kanada nach der abgeklungenen letzten Eiszeit erneut ein Eisschild gebildet hätte, womit der Beginn einer neuen Eiszeit eingeläutet worden wäre.5 Nach diesen Überlegungen hat die Menschheit durch einen frühen Klimawandel sich selbst vor einer natürlichen Klima"katastrophe" in Gestalt einer neuen Eiszeit bewahrt.

Gegen diese Hypothese hat es allerdings auch gravierende Einwände gegeben, die vor allem die angenommenen anthropogenen CO2-Emissionen als zu hoch kritisieren.10 Nach Modellstudien wird die Beziehung zwischen der CO2-Zunahme nach 7000 vh. um 20 ppm und der neolithischen Agrar-Revolution hiernach nicht gestützt. Die modellierten CO2-Emissionen durch anthropogene Landnutzung setzen zu spät ein und sind mengenmäßig zu gering. Hinzu kommt, dass wahrscheinlich der Ozean einen deutlichen Beitrag an der Zunahme des CO2-Gehalts im Mittleren Holozän (7000-5000 vh.) geleistet hat. Auch die Modellexperimente von Brovkin et al. (2019)11 bestätigen zusätzlich die Bedeutung des Ozeans und kommen zu dem Ergebnis, dass der Ozean bis ins späte Holozän eine Quelle von Kohlendioxid war und anthropogene Quellen erst seit Beginn der Industrialisierung den atmosphärischen CO2-Gehalt beeinflusst haben.

Geht das Eiszeitalters zuende?

Die gegenwärtige Klimaepoche, das Holozän, wird als jüngste Warmzeit des Eiszeitalters verstanden, das vor etwa 2,7 Mio. Jahre begann und bei dem sich Warm- und Kaltzeiten abwechseln. Die entscheidende Ursache für die Schwankungen zwischen kälteren und wärmeren Phasen wird in der Variabilität der Erdbahnparameter gesehen. Der Antrieb durch die Erdbahnparameter kann heute recht genau berechnet werden. Der Beginn einer neuen Eiszeit hängt allerdings nicht nur von der Sonneneinstrahlung ab, sondern auch von der atmosphärischen CO2-Konzentration. Nur wenn der Kohlendioxidgehalt unter das vorindustrielle Niveau sinkt, würde bei der aktuellen Konfiguration der Erdbahnparameter eine neue Eiszeit möglich sein. Das vergangene schnelle Wachstum kontinentaler Eisschilde auf der Nordhalbkugel, das warme Klimaepochen beendet hat, wird im allgemeinen auf eine reduzierte Einstrahlung im Sommer in den höheren Breiten zurückgeführt. Gegenwärtig befindet sich diese sommerliche Einstrahlung bei 65 °N nahe bei ihrem Minimum, ohne dass es jedoch Anzeichen einer neuen Eiszeit gibt. Bei ähnlichen orbitalen Verhältnissen wie z.B. vor ca. 800 000 Jahren hat es in der Vergangenheit den Beginn einer Eiszeit gegeben, allerdings bei einem CO2-Gehalt von 240 ppm. Bei einem ähnlichen CO2-Gehalt sollte auch das gegenwärtige Interglazial innerhalb der nächsten 1500 Jahre enden. Aber bereits vor Beginn der industriellen Revolution lag der Kohlendioxid-Gehalt bei 280 ppm, was möglicherweise auf die vorindustrielle Landnutzung zurückzuführen ist. Bei einem CO2-Gehalt von 240 ppm hätte es nach Berechnungen von Klimamodellen den Beginn eines schnellen Wachstums von Eisschilden bereits einige Tausend Jahre vor heute geben müssen. Die Erde wäre also längst auf dem Weg zu einer neuen Eiszeit, wenn der CO2-Gehalt nur um 40 ppm geringer gewesen wäre, als er es vorindustriell war.8

Klimamodellsimulationen zeigen eine Lebensdauer von anthropogenem CO2 von mehreren Tausend Jahren. Durch die lange Lebensdauer des anthropogenen CO2 in der Atmosphäre werden die vom Menschen verursachten Emissionen von Kohlendioxid einen starken Einfluss auf den Beginn der nächsten Eiszeit haben. Selbst bei einer gesamten kumulativen Emission von 500 GtC, ein Wert, der nur wenig über dem gegenwärtigen liegt, würde die Entwicklung der Eisschilde auf der Nordhalbkugel über Jahrtausende durch den CO2-Gehalt beeinflusst werden. Bei kumulativen CO2-Emissionen von 1000 Milliarden Tonnen Kohlenstoff (GtC) ist die Möglichkeit des Beginns einer neuen Eiszeit für die nächsten 100 000 Jahre stark reduziert, und bei 1500 GtC ist sie für denselben Zeitraum äußerst unwahrscheinlich. Mit Ausnahme des RCP2.6-Szenarios werden alle RCP-Szenarien des IPCC-Berichts von 2013 die 1000 GtC-Marke bereits im 21. Jahrhundert überschreiten. Daher kann davon ausgegangen werden, dass der anthropogene Einfluss den Beginn einer nächsten Eiszeit über die Dauer von bisherigen Eiszeit-Zyklen hinaus unmöglich macht.8;9

Die Wahrscheinlichkeit scheint daher tatsächlich relativ hoch, dass die Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre durch den Menschen Folgen haben wird, die die Wiederkehr einer nächsten Eiszeit verhindern könnten. Das rapide Abschmelzen des arktischen Meereises und das wahrscheinliche, wenn auch längerfristige Abschmelzen des Grönlandeises werden Bedingungen schaffen, die die geringfügigen Schwankungen der Erdbahnparameter möglicherweise zu wenig zur Wirkung kommen lassen werden, um eine neue Eiszeit (Kaltzeit) einzuleiten.

Dabei sind die neuen Klimaverhältnisse nur ein Merkmal, wenn auch vielleicht das entscheidende des neuen Zeitalters. Der Mensch prägt in vielerlei Hinsicht seine Umwelt selbst und sieht sich zunehmend veranlasst, die Folgen zu bewältigen. Damit nimmt er radikal Abschied von seinem früheren Verhältnis zur Natur, auf die er keinen Einfluss hatte, und sieht sich mehr und mehr einer Umwelt gegenüber, die sein eigenes Produkt ist, das auf ihn zurückwirkt, das er aber auch zu beherrschen lernen muss, will er nicht sein eigenes Opfer werden.


Anmerkungen


1. Paul J. Crutzen (2002): Geology of mankind, Nature 415, 23; sowie neuer: Steffen, W., P.J. Crutzen and J.R. McNeill (2007): The Anthropocene: Are Humans Now Overwhelming the Great Forces of Nature?, Ambio 36, 614-621
2. Waters, C.N., et al. (2016): The Anthropocene is functionally and stratigraphically distinct from the Holocene, Science 351, DOI: 10.1126/science.aad2622
3. Rother, h. (2015): Anthropozän – das Ende des Eiszeitalters?, in: Lozán, J.L., Ha. Graßl, D. Kasang, D. Notz & H. Escher-Vetter: Warnsignal Klima: Das Eis der Erde, Hamburg 2015, 57-62
3a. Zalasiewicz, J., C.N. Waters, M. Williams et al. (2014): When did the Anthropocene begin? A mid-twentieth century boundary level is stratigraphically optimal, Quaternary International 383, 196-203
3b. Lewis, S.L., Maslin, M.A. (2015): Defining the Anthropocene. Nature 519, 171-180
4. Es gibt auch Verfechter eines sehr frühen Beginns des Anthropozäns, die das Aussterben von Großtierarten wie Mammut, Wollnashorn, Riesenkänguru oder Säbelzahntiger als Beginn der Epoche werten (nach Rother 2015).
5. Ruddiman, W. F. (2003): The anthropogenic greenhouse era began thousands of years ago. Climatic Change 61, 261–293
6. Ruddiman, W. F. (2015): The Anthropocene, Annual Review of Earth and Planetary Sciences 41, 45-68, doi:10.1146/annurev-earth-050212-123944
7. Ruddiman, W.F. (2007): The early anthropogenic hypothesis: challenges and responses. Reviews of Geophysics 45:RG4001
8. Ganopolski, A., R. Winkelmann & H.J. Schellnhuber (2016): Critical insolation–CO2 relation for diagnosing past and future glacial inception, Nature 529, 200–203
9. IPCC (2013): Climate Change 2013, Working Group I: The Science of Climate Change, 5.8.3
10. Stocker, B.D., Z. Yu, C. Massa, F. and Joos (2017): Holocene peatland and ice-core data constraints on the timing and magnitude of CO2 emissions from past land use, P. Natl. Acad. Sci. USA, 114, 1492–1497
11. 
Brovkin, V., Lorenz, S., Raddatz, T., Ilyina, T., Stemmler, I., Toohey, M., and Claussen, M.: What was the source of the atmospheric CO2 increase during the Holocene?, Biogeosciences, 16, 2543–2555

Bildquellen


B1. Koch, A., C. Brierley, M.M. Maslin, S.L. Lewis (2019): Earth system impacts of the European arrival and Great Dying in the Americas after 1492, Quaternary Science Reviews 207, 13-36; Lizenz: CC BY
B2. Eigene Darstellung nach Ruddiman, W. F. (2003): The anthropogenic greenhouse era began thousands of years ago. Climatic Change 61, 261–293; und Ruddiman, W.F. (2007): The early anthropogenic hypothesis: challenges and responses. Reviews of Geophysics 45:RG4001
B3. Quelle: Wikimedia: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Centres_of_origin_and_spread_of_agriculture.svg; Lizenz: CC BY SA Centres_of_origin_and_spread_of_agriculture; Author: Joey Roe