Klimawandel

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Externer Antrieb/Stochastische Dynamik

Das Einsetzen eines neuen El Niño lässt sich nur bedingt aus dem System selbst erklären. Spielen hier möglicherweise von außen wirkende und zufällige Kräfte eine Rolle?

Alle bisher besprochenen Theorien gehen davon aus, dass ENSO ein grundlegend deterministisches Phänomen ist, bei dem die wesentliche Physik in der gekoppelten Ozean-Atmosphäre-Dynamik des äquatorialen Pazifik gefunden werden kann. In dieser Sicht entstehen die ENSO-Schwankungen, weil das System dynamisch instabil ist, und die ENSO-Unregelmäßigkeiten als Folge eines deterministischen Chaos. Die Dominanz dieser Sichtweise ist weitgehend durch gewisse Erfolge von gekoppelten Modellen, die auf diesem Konzept aufbauen, bei der Erklärung der ENSO-Physik und bei der (begrenzten) Vorhersage des El Niños von 1997/98 bedingt.

Jüngere Beobachtungen über 22 Jahre und sechs El-Niño-Ereignisse von 1980 bis 2002 kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass ENSO kein Zyklus ist, in dem sämtliche Phasen aus der jeweils vorhergehenden zwangsläufig entstehen und die eine Phase in jedem Fall schon den Keim der nächstfolgenden in sich trägt.1 Zwar scheint in Übereinstimmung mit der Divergenz/Konvergenz-Theorie eine gewisse Zwangsläufigkeit vom Zusammenfließen der Wassermassen Richtung Äquator über eine El-Niño-Phase und das polwärtige Auseinanderfließen bis zur La-Niña-Phase zu bestehen. Aber dann macht das System offensichtlich eine Pause von sehr variabler Länge, die sich über 6 bis 42 Monate erstrecken kann. Das anschließende Einsetzen eines erneuten Zusammenfließens von Warmwasser Richtung Äquator mit nachfolgendem El Niño scheint zu den vorhergehenden Phasen in keiner kausalen Beziehung zu stehen. Es geschieht deutlich, nachdem La Niña den Höhepunkt überschritten hat und scheint eher ein Neuanfang ohne erkennbare Beziehung zur vorhergehenden La Niña zu sein. Es gibt offenbar vor dem Einsetzen eines warmen Ereignisses einen Bruch in dem vorher konsequenten Ablauf des Systems. Das steht im Widerspruch zu der Vorstellung, dass ENSO letztlich ein sich selbst erhaltender Zyklus ist, in dem jede Phase den Antrieb für die Entwicklung der folgenden hervorbringt.

D. h. das System scheint in dieser sehr unterschiedlich langen Pause sein "Gedächtnis" verloren zu haben. Nach bisherigen Vorstellungen liegt das "Gedächtnis" des Systems in dem gegenüber der Atmosphäre langsam reagierenden Ozean. Die Atmosphäre reagiert z.B. auf Veränderungen der SST unmittelbar mit aufsteigender bzw. absinkender Luft und Niederschlag bzw. Trockenheit, wobei der eine Zustand direkt durch den anderen ersetzt, d.h. schnell "vergessen" werden kann. Anpassungen des Ozeans an atmosphärische Bedingungen, z.B. der Meeresströmungen an die Passatwinde, halten dagegen relativ lange an, auch wenn sich die atmosphärischen Bedingungen längst geändert haben. So treibt der Windschub der Passate nach der Delayed-Oscillator-Theorie, z.B. in einer La-Niña-Phase, warmes Wasser nach Westen. Bei einem Nachlassen der Passatwinde verschwindet dieses Warmwasser nicht einfach, sondern wandert nach Osten und "erinnert" hier an den einstigen starken Passat bzw. erzeugt El Niño aus dem "Gedächtnis" an La Niña.

Die jüngeren Beobachtungen nähren aber den Zweifel gerade an diesem Zusammenhang und scheinen eher dafür zu sprechen, dass ENSO nach einer La Niña ihr ozeanisches Gedächtnis verliert und eines neuen Anstoßes durch zufällige externe Kräfte bedarf, um einen neuen El Niño zu erzeugen. Der Initiator ist unbekannt, scheint aber im Widerspruch zu der Delayed-Oscillator- und der Divergenz/Konvergenz-Theorie von den vorhergehenden Bedingungen des ENSO-Systems unabhängig zu sein. Die Spekulationen reichen von den Aktivitäten der sogenannten Madden-Julian-Oszillation (MJO), einer atmosphärischen Schwankung mit Ursprung im Indischen Ozean, bis hin zu Einflüssen durch die winterliche Variabilität in den mittleren Breiten. Die MJO hat, wie oben ausgeführt, bei der Entstehung des El Niño von 1997/98 eine Rolle gespielt und könnte der entscheidende Anstoß für die Schwächung der Passate sein. Erst nach der Intensivierung der MJO über dem westlichen Pazifik begann die Entwicklung zu dem 1997-98-Ereignis.2 In Frage kommen aber auch Einflüsse durch tropische Zyklonen oder Ausbrüche von kalter Luft aus höheren Breiten. Treffen solche chaotischen Wetterereignisse wie die MJO oder andere zum richtigen Zeitpunkt auf geeignete ozeanische Zustände, kann dadurch eine neue ENSO-Kette ausgelöst werden. So traf vor dem 1997/98-El-Niño eine besonders energiereiche MJO-Störung auf eine durch überdurchschnittliche Passate 1995/96 verursachte besonders starke Ansammlung von Warmwasser im westlichen Pazifik.3

Anmerkungen:
1. Kessler, W.S. (2002): Is ENSO a cycle or a series of events?, Geophysical Research Letters 29, 40-1 bis 40-4
2. vgl. McPhaden, M.J. (1999): Genesis and Evolution of the 1997-98 El Niño, Science 283, 950-954
3. McPhaden, M.J. (1999): The child prodigy of 1997-98, Nature 398, 559-562